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Dezember 2023


Blutch/Juillard/Bertail/Kissel/Vogt et al.: Hommage an Valerian & Veronique Hommage an Valerian & Veronique (Blutch/Juillard/Bertail/Kissel/Vogt et al., Carlsen 2023, 96 S., HC, farbig)
Beiträge von vierzig AutorInnen sind in dieser Hommage an die beiden berühmten Raum-Zeit-Agenten aus Galaxity versammelt. Dabei wählte man aus der 2017 in Französisch erschienenen Pilote-Spezialausgabe "Spécial Valerian" zwei Dutzend der vornehmlich Zwei- und Vierseiter aus, die den Bezug der jeweiligen KünstlerInnen zu dieser Science-Fiction-Serie verdeutlichen und deren Eigenheiten betonen. Weitere Besonderheiten der Figurenwelt von "Valerian & Veronique" gehen aus den 2022 gezeichneten Beiträgen von deutschsprachigen Autoren hervor, die, sehr zu loben, diese Hommage um weitere, mehrseitige Einfälle und Wesen ergänzen. Dazu zählt eine Spezies, die von den Früchten der Zwietracht lebt, die sie unter den eigentlich friedlich lebenden Völkern der Galaxis sät. Bernd Kissel ("Die Känguru-Comics") stellt die Fieslinge vor, die im entscheidenden Moment grün werden. Ralf Marczinczik ("U-Comix") und Jan Thüring lassen eine Zeitbombe auf Valerian und Veronique los, haben die Rechnung aber ohne den Transmutator gemacht. Und durch den Vielzeichner Michael Vogt ("Cozmic", "Der kleine Perry") wird Valerian von seiner Veronique darüber aufgeklärt, dass man in der Bar zur vierten Dimension auf die Anzahl an Kanten der Eiswürfel in seinem Getränk achten muss. (adi)

 
Frank Tieri/Logan Faerber: Harley zerlegt das DC-Universum Harley zerlegt das DC-Universum (Frank Tieri/Logan Faerber, Panini 2023, 164 S., HC, farbig)
1996 hat Sergio Aragonés schon einmal versucht, das DC-Universum zu zerstören. Aber jetzt ist es immerhin die schlagkräftige Harley Quinn, die für die gesamte DC-Superheldenwelt zur Gefahr wird. Wenn ihr das gelingt, wird sich DC verlagsmäßig heftig umsortieren müssen, vielleicht nur noch Fußball-Sammelalben herausgeben. Dabei beginnt Harley ihr Zerstörungswerk nicht vorsätzlich, sondern indem sie einen Knopf in der Zeitmaschine drückt, die ihr ein unbekannter Professor Incredulous vererbt hat. Diese Zeitreise-Maschine, die Eggy von der Harley-Gang gleich ängstlich an H.G. Wells denken lässt, erinnert an die Telefonzelle von Dr. Who, ist aber innen weit weniger geräumig. Harley landet mitten in einer Zeit voller von Starros Alien-Seesternen fremdgesteuerten Leuten. (Starro, das ist der Extraterrestrische, der mit seinen Abkömmlingen ganze Welten zu versklaven sucht.) Zwei Harleys, eine aus unserer und eine aus jener Zeit, geben den Seesternen nun die Keule. – Es stellt sich heraus, dass Harley daran Schuld ist, dass Starro sich in jener Zeit ausbreiten konnte. Harley hat nämlich Superman, Wonder Woman, Flash, Batman und Co. bei ihren Zeitreisen nach Krypton, Themyscira, Central City und Gotham (versehentlich) ausgeschaltet. Die spaßige Erzählung zeigt uns, wie die beiden Harleys alles daran setzen, den Schaden wieder gutzumachen. (adi)

 
Rodolphe/Georges van Linthout: Privatdetektiv Brian Bones 3: Corvette 57 Brian Bones 3: Corvette 57 (Rodolphe/Georges van Linthout, Kult Comics 2023, 48 S., HC, farbig)
Im Jahr 1959, dem Jahr, in dem dieser neue Fall des Versicherungsdetektivs Brian Bones spielt, schließt man in den USA in weiten Kreisen der Bevölkerung nicht aus, dass es fliegende Untertassen gibt. Die US Air Force registriert nach dem Roswell-Zwischenfall seit 1951 sogar offiziell alle UFO-Sichtungen. Kein Wunder also, dass ein junger Mann namens Ryan das Verschwinden eines ihm anvertrauten Corvette 57 dadurch zu erklären hofft, dass ihm das Auto durch ein UFO gestohlen worden sei. Ein Raumschiff habe das Fahrzeug zu sich an Bord hochschweben lassen. Die Versicherung, für die Brian Bones arbeitet, müsste in diesem Fall für den Schaden sogar zahlen, da UFO-Diebstähle vertraglich als Leistungsfall nicht ausgeschlossen sind. Selbstredend setzt man Brian Bones auf diesen Fall an. Auf der Fahrt zum "Tatort" bittet eine junge Dame Brian darum, sie mitzunehmen. Diese Janet gibt zunächst vor, eine Studentin zu sein. Trotz seines Scharfsinns, ist Brian jetzt leider etwas zu leichtgläubig. – Wie schon bei der Erledigung der vorangegangenen Aufträge kommt Brian zur Aufklärung des UFO-Falls um die Hilfestellung durch den Automechaniker und Schamanen Flint und um die tatkräftige Unterstützung durch dessen Tochter Lisa nicht vorbei. Auf den erhofften Lohn wird Lisa aber wohl wieder verzichten müssen. (adi)

 
Jean-David Morvan/David Evrard/Ben BK: Die Freunde von Spirou 1: Ein Freund von Spirou ist offen und ehrlich... Die Freunde von Spirou 1: Ein Freund von Spirou ist offen und ehrlich... (Jean-David Morvan/David Evrard/Ben BK, Carlsen 2023, 216 S., HC, farbig)
Die unruhigen Konturlinien deuten es wohl an: dieses Album ist kein schlichter Funny. Auch wenn es wegen der spirougestaltigen, kindlichen Hauptfiguren äußerlich den Anschein erwecken mag, so beruht die Geschichte auf einer wahren Begebenheit aus der Besatzungszeit Belgiens, als die Schergen des NS-Staats die jüdischen Mitbürger deportierten oder sie gleich an Ort und Stelle umbrachten. Die Kinder sehen im August 1940 mit an, wie der fliehende Schlomo erschossen und seine jüdische Familie im Lastwagen abtransportiert wird. Nur Schlomos Cousine, die kleine Miche (aka Spirouette), kann sich zur Hintertreppe hinausretten. Dort wird sie von Jugendlichen gefunden, die dem Club "Die Freunde von Spirou" angehören, eine vom Comicmagazin "Spirou" organisierte Gemeinschaft von Kindern, die sich wie die Pfadfinder edle Verhaltensregeln auferlegen, zum Beispiel "Ein Freund von Spirou macht sich nützlich und kümmert sich um andere". So bringt man zunächst Miche in Sicherheit und beginnt mit gefährlichen Aktionen gegen die Besatzer. – Im Rückblick auf diese Zeit und ihre Opfer gibt der Comic einen Dialog zwischen einem Pfarrer und Jean Doisy (d.i. Jean-Georges Evrard) wieder, dem Verantwortlichen für das Magazin "Spirou" und für jenen Club. Die Tode von im Widerstand gegen den Faschismus tätigen Clubmitglieder belasten Doisys Gewissen. Hat er durch den Club Kinder zum aktiven Widerstandskampf gebracht? (adi)

 
René Sterne: Adler Integral 2: 1991-1996 Adler - Integral 2: 1991-1996 (René Sterne, Kult Comics 2023, 216 S., HC, farbig)
Mit der Erzählung "Das Flugzeug vom Nanga", die man im ersten Band dieser Gesamtausgabe der Abenteuer des Piloten Adler von Berg findet, stellte sich der Autor René Sterne (d.i. René Vanpijperzeele) 1985 beruflich entschlossen auf das Schreiben und Zeichnen dieser Serie um, die es bis 2003 auf zehn Alben brachte. Dass er 1990 auch einen Abenteuerroman veröffentlichte (s. Larousse 2010), in welchem Adler dem Präsidenten Guatemalas zur Flucht verhelfen soll, erfährt man in dem nun vorliegenden zweiten Band der Gesamtausgabe nicht nur. Diese Erzählung mit dem Titel "Rio Negro" ist hier sogar abgedruckt. So kann man sich von gebuchstabten Formulierungen wie "Von jedem Grashalm, jedem Dorn und jedem Sandkorn hallt die flötende Musik des trockenen Windes wider" erstaunen lassen, oder man liest lieber gleich die sich anschließenden drei spannenden Comics, die in Myanmar und im Südpazifik spielen. – Bei der ersten der drei überzeugend ins Bild gesetzten Abenteuer muss Helen Peach, Adlers Freundin, erstmals eigenständig landen, weil sich Adler schwer den Magen verrenkt hat. Dabei entdeckt Helen eine 1944 abgestürzte B-52. Das Schicksal von deren Besatzung soll geklärt werden, auch wenn das für Adler und Helen eine gefährliche Flussfahrt bedeutet. – Einige Zeit später nimmt ein verzweifelter Adler an einer Bootsfahrt in den Gewässern um Tahiti und Moorea teil. Helen hat ihn verlassen. Beim Klettern auf Moorea stößt Adler in einer Höhle auf Hinweise zu einem reichen Schatz von den Meuterern der "Bounty" auf Pitcairn. (adi)

 
James Tynion IV/Michael Dialynas: Wynd 1: Seltsames Blut Wynd 1: Seltsames Blut (James Tynion IV/Michael Dialynas, Carlsen 2023, 128 S., SC, farbig)
Der Mumienmann kann spüren, wenn einem Wesen etwas Magisches innewohnt, was als Bedrohung für die ummauerte Stadt gilt. In Pipetown sorgen strenge Gesetze dafür, dass dieser Ort als das "Letzte Reich der Menschen" erhalten bleibt. Man fürchtet Kreaturen wie die Wychteln, bei deren Berührung ein Mensch unrettbar von monströsen Wucherungen überzogen wird. Durch radikale Entfernung allen magie-verdächtigen Lebens aus Pipetown durch den mitleidlosen Mumienmann hat man sich dort bisher vor solchen vernichtenden Auswüchsen schützen können. Doch die Wirtin Molly hat ein Kind bei sich aufgenommen, Wynd, das sie an seinen spitzen Ohren zwar gleich als "verboten" erkannte, dessen Auslieferung an ein tödliches Schicksal sie aber nicht übers Herz brachte. Zusammen mit ihrer Tochter Oakley verbergen sie Wynd als Küchenjungen in ihrer Schänke. – Der sonst für seine Superhelden-Szenarien bekannte James Tynion IV ("Der Joker", "Punchline") schildert das Leben eines Jungen, der sich wegen eines vermeintlichen Makels als Außenseiter durchschlagen muss. Zugleich erzählt der Autor von der Beziehung des Gärtnersohns Thorn zum Thronfolger Yorik, bei dem es ebenfalls Geheimnisse zu bewahren gilt. Daraus wird eine spannende Geschichte, die in diesem ersten Band erst einmal mit einer Flucht endet. (adi)

 
René Lehner/Bernd Natke/Andreas Alt: Graphica 3 Graphica 3 (René Lehner/Bernd Natke/Andreas Alt/Timo Stoffregen, Wiele 2023, 32 S., Heft, farbig)
Pünktlich liegt das dritte Heft des neuen Comicmagazins aus Hamburg am Kiosk und lockt mit "Don Caneloni" von René Lehner. Cesare Caneloni, Mafioso in New York, will die mexikanische Konkurrenz vertreiben. Zwar bieten sich die Frauen der Familie an, diesen Job zu übernehmen, aber Cesare ist gegen diesen Ausbruch an Gleichberechtigung und lässt sich El Coltello als Attentäter vorschlagen (womit auf 'il coltello', also das Messer, mit dem der Mitarbeiter die Gegner lautlos auslöschen soll, angespielt wird). Doch es kommt ganz anders und gar nicht lautlos und ziemlich scharf. – Anschließend trabt der Stoiker Detlef mit seiner Kaffeetasse wie ein Beruhigungsmittel durch das Heft, bevor es MacRogers wieder mit seinem Zeitdilatationsproblem aufnimmt und bei Häuptling Schnatternde Bergkrähe (oder bei Schreiender Bergnatter?) nach einer Lösung sucht. – Ob Sabine oder Birgitta für Andreas Alt zu einer vielversprechenden Romanze wird, erfahren die LeserInnen in der mit dem rätselhaften Titel "Daphne erstarrt" überschriebenen Erzählung. Und zum Schluss kommt noch eine Art Weihnachtsmann, der bei Alpha Zentauri falsch abgebogen ist. Damit erfüllt sich die laut Vorwort des Heftes anzustrebende "Vielfalt und Abwechslung" mit einem extraterrestrisch-weihnachtlichen "Verstehe einer diese komischen Sitten und Gebräuche...". (adi)

 
Merwan: Mechanica Caelestium 2: Kwell Mechanica Caelestium 2: Kwell (Merwan, Schreiber & 2023, 168 S., HC, farbig)
Die reaktionsschnelle und selbstbewusste Aster hatte im letzten Band für die Bauern-Republik Pan in einem zunehmend ausufernden Ballspiel, das anfangs noch an Völkerball erinnerte, später aber zu einer grotesken und gefährlichen Auseinandersetzung zwischen den Wettkämpfern ausartete, die Entscheidung zu Gunsten der Unabhängigkeit vom Nachbarland Fortuna herbeigeführt. Ob sich Fortuna ans Wettkampfergebnis halten wird, wie es alte Regeln vorschreiben, erscheint aber fraglich. Also ist Aster mit dem Anführer von Pan, Eddy, und seinen Söhnen Wallis und Juba auf dem Weg, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch statt in Fortuna, landen sie in Kwell. Deren Oberverwalter Ohm nennt Kwell einen Zufluchtsort und tatsächlich werden die vier Reisenden dort sogar mit frischem Brot versorgt, was Aster noch gänzlich unbekannt ist. – Auf dem Titelbild klammert sich neben Aster eine weitere Hauptfigur dieser dystopischen Erzählung an ein marodes Gerüst. Diese zwielichtige Frau namens Nour Komanech trägt eine Information ganz nahe bei sich, mit der sich eine große Bedrohung durch hochenergetische P-50-Strahlen abwenden ließe. – Merwans Zeichnungen bestechen besonders dann, wenn die Geschichte Fahrt aufnimmt und die HeldInnen aus jeder Lage ihrem Schicksal entkommen müssen. (adi)

 
Neil Gaiman/Andy Kubert/Richard Isanove: Marvel Must Have 88: Marvel 1602 Marvel Must Have 88: Marvel 1602 (Neil Gaiman/Andy Kubert/Richard Isanove, Panini 2023, 252 S., HC, farbig)
Aus Peter Parker wird Peter Parquagh, aus Charles Xavier wird Carlos Javier, aus Nick Fury wird Sir Nicholas Fury u.a.m., als Neil Gaiman ein ganzes Ensemble aus etwa 30 Marvel-Figuren um 400 Jahre in die Vergangenheit zurückdenkt und ihre Entstehung also in die Zeit von Queen Elizabeth I verlegt. Er baute aus diesem kuriosen Ansatz eine Erzählung, die ohne Schusswaffen, Bomben, Flugzeuge und Hochhäuser auskommen sollte, da gerade die Anschläge vom 11. September 2001 geschehen waren. Dazu lässt er die erste in Nordamerika geborene Engländerin, Virginia Dare, zusammen mit ihrem uramerikanischen Beschützer Rojhaz von ihrer Roanoke Colony nach England segeln, um Unterstützung für ihre Kolonie zu erbitten. (Virginia Dare ist eine historische Figur, die Fahrt nach England unternahm allerdings ihr Großvater 1587). Virginia erreicht England zu einer Zeit, als Jacob VI., König von Schottland, die Queen beseitigen lassen möchte, um ihre Nachfolge anzutreten. Jakob VI. erließ strenge Hexengesetze, so dass es historisch dazu passend den bei Carlos Javier versammelten Mutanten an den Kragen gehen soll. Gaiman wählt für seine magiereiche Geschichte Mutanten aus den 1960er Jahren der "X-Men", also müssen das Beast, Cyclops, Angel, Jean Grey und Iceman zusammen mit Carlos Javier ihre Haut retten, natürlich nicht im Flugzeug, aber immerhin mit einem fliegenden Schiff. (adi)

 
Lauraine Meyer: Feminists in Progress Feminists in Progress (Lauraine Meyer, Carlsen 2023, 248 S., HC, farbig)
Der Untertitel dieses zum Nachschlagewerk taugenden Buches betont, auf welche aktuellen Themen des feministischen Spektrums die Autorin besonders Bezug nimmt: "Ein Comic-Guide für Empowerment, Body Positivity und Vielfalt". Mit "Vielfalt" ist wohl Diversity gemeint :). Doch die angesprochenen Themen reichen darüber hinaus von #MeToo bis zur inklusiven Sprache, von mentaler Belastung bis zur weiblichen Lust, von der Nicht-Binarität bis zur Behaarung. – Dieser Sachcomic nutzt zur Illustration der Inhalte comicartige Elemente, ist eigentlich kein Comic, aber ein Guide. An die Kapitel trennenden Seiten wird nicht gespart. – Selbst wenn in Gesetzen die Gleichberechtigung aller Menschen festgeschrieben ist, egal welchen Geschlechts und Geschlechtsempfindens, so treten in Arbeitswelt und Alltag Missstände zutage, die Lauraine Meyer in Bilder setzt und dabei stets vorbildlich auf ihre (meist französischsprachigen) Quellen verweist. Sie schließt ihre Ausführungen mit einer zusammenfassenden Übersicht darüber, womit Schluss sein sollte und was man als Frau in Beziehungen erwartet. Im Anhang des Buches listet sie deutschsprachige Fachliteratur und Materialien zu den vorgestellten Themenkreisen auf, worunter sogar "Buffy - Im Bann der Dämonen" ihren Platz findet. (adi)

 
Evers/Kerkeling/Waalkes/Bexte/Hurzlmeier/Kissel et al.: Er lebe hoch! Loriot zum 100. Geburtstag Er lebe hoch! Loriot zum 100. Geburtstag (Evers/Kerkeling/Waalkes/Bexte/Hurzlmeier/Kissel et al., Carlsen 2023, 112 S., HC, farbig)
Über sechzig Cartoonisten und Humoristen tragen zur Feier bei. Im November 2023 jährte sich der Geburtstag von Loriot (d. i. Vicco von Bülow) zum hundertsten Mal. Loriots Vornamen falsch zu schreiben, das wurde gerächt, berichtet Otto Waalkes. Als Otto dieser Fehler einmal passierte, wurde er von Loriot in Folge zur Strafe als Oto bezeichnet. Auch Hape Kerkeling erzählt von der humorvollen Art Loriots, wodurch ein Nilpferd den Namen von Hannileins Schwester bekommen sollte. Auf Loriots Comicschaffen spielt Ulf K. durch einen Strip an, der farblich an den Einband von "Reinhold das Nashorn" erinnert, der inhaltlich natürlich – wie die Cartoons der meisten KollegInnen – auf die berühmten Fernsehsketche des Tausendsassas gründet. Die Einfälle, aus denen sich diese Hommage zusammensetzt, sind treffsicher. So heißt es denn bei Til Mette: "Was ich an Loriot so mag, ist Evelyn Hamann". Und vor Lottemanns Herrenbutike sitzt laut Tetsche eine öde Pussi. Und der Mops von Hurzlmeier spielt Klavier, ein Klavier, ein Klavier! Bei Gymmick hat das schief hängende Bild erdballumfassende Folgen und bei Kim Schmidt gibt es zwei Wanderer mit etwas Gepäck. Dem Reigen geistreicher Sichten auf Loriots Werk ordnen sich Texte von Piet Klocke und Horst Evers ein, die dem hundertjährigen Meister sicherlich gefallen hätten. (adi)

 
Bernd Natke/René Lehner/Andreas Alt et al.: Graphica 1 René Lehner/Bernd Natke/Andreas Alt: Graphica 2 Graphica 1 (Bernd Natke/René Lehner/Andreas Alt et al., Wiele 2023, 32 S., Heft, farbig)
Graphica 2 (René Lehner/Bernd Natke/Andreas Alt, Wiele 2023, 32 S., Heft, farbig)
Die neue Comiczeitschrift "Graphica" veröffentlicht Comics deutschsprachiger Zeichner. Die aus Hamburg kommenden Ausgaben der Heftserie liegen zu einem günstigen Preis am Kiosk. Begonnen hat man mit Funnys von René Lehner und Bernd Natke und mit autobiographischen Szenen von Andreas "plop" Alt. Gleich die erste Erzählung von Fred Flamingo, der auf dem Planeten Syrina Tyrannus landen muss, wo er den Sängern des Tyrannen begegnet, macht Lust auf mehr. Auch wenn "Fred Flamingo" von René Lehner und "MacRogers" von Bernd Natke älteren Datums sind, so trägt der Humor noch immer. Die Ergänzung durch die, ab dem zweiten Heft dann auch kolorierte autobiographische Erzählung eines Comicbegeisterten, machen aus dem Heft eine runde Sache. Damit eröffnet sich nach dem Willen des Verlags für ZeichnerInnen eine neue papierene Veröffentlichungsmöglichkeit im deutschsprachigen Raum. Die anfänglichen Rechtschreibprobleme sind mittlerweile aus dem Weg geräumt, jetzt warten wir neugierig auf das Dezemberheft. (adi)

 
Jeff Lemire/Doug Mahnke: Swamp Thing - Die Hölle Swamp Thing - Grüne Hölle (Jeff Lemire/Doug Mahnke et al., Panini 2023, 164 S., HC, farbig)
Viele Menschen sind nicht mehr übrig. Drei potente Mächte, zu "Parlamenten" zusammengeschlossen, die Fäulnis in Blau, die Fauna in Rot und die Flora in Grün, sie wollen die im Müll lebenden, verschreckten Reste der Menschheit nun auch noch beseitigen, um einen Neuanfang des Lebens auf der Erde zu ermöglichen. Dem Grün fällt die Aufgabe zu, die letzten Menschen zu vernichten. Er schickt dazu ein mordendes Pflanzenwesen in den Zufluchtsort der Überlebenden, zu denen auch das Mädchen Veronica, genannt Ronnie, und ihr Vater Donald, genannt Donnie, gehören. Die beiden haben heute keinen einzigen Fisch gefangen, aber für den alten George zogen sie immerhin einen Golfschläger aus dem Wasser. Als das Pflanzenmonster angreift, fliehen George und Ronnie zum Leuchtturm, dem sich die Leute aus Angst vor dem Leuchtturmbewohner sonst nie nähern. In diesem Falle aber ist das gut, denn so wird tatsächlich Swamp Thing (d. i. Alec Holland) zu Hilfe gerufen. – Es ist klar, dass man es in einem solchen Endzeitcomic ausführlich mit Kämpfen zwischen Gut und Böse zu tun bekommt, obwohl man vom Autoren Jeff Lemire ("Sweet Tooth") durchaus auch ausgefeiltere, ideenreichere Szenarien kennt. Der Zeichner ist bemüht, die gängigen Horrorbilder im Kampfgetümmel unterzubringen. Das große, lesefreundliche Format des Buches schafft einen plakativen Eindruck vom Finale des Menschzeitalters. (adi)

 
Uli Oesterle: Vatermilch 2 Vatermilch 2: Unter der Oberfläche (Uli Oesterle, Carlsen 2023, 136 S., HC, zweifarbig)
Er nennt sich nicht mehr Rufus Himmelstoss. Seinem neuen Kumpel Börni von der Obdachlosenhilfe stellt er sich als Roland Herzig vor. Seine Vergangenheit und die Erinnerung an einen von ihm verschuldeten, furchtbaren Unfall (siehe Vatermilch 1) holen ihn immer wieder ein. Zu seinem Glück gibt es Börni, mit dem er sprechen kann. In einer Schlüsselszene dieser bedrückend nachfühlbaren Geschichte sitzen die beiden unter einer Brücke und Börni erwartet von Rufus, sich um die "Scherben" aus seiner Vergangenheit zu kümmern, sie nicht liegen zu lassen. Als Börni bei Rufus eine solche Absicht aber nicht erkennt, geht er weg. Warum auch sollte er dem Alkoholiker beistehen, wenn der aus seinem Sumpf gar nicht herauswill? Mit seinen Gedanken allein gelassen wird die folgende Nacht für Rufus zum Alptraum. Am nächsten Morgen rafft er sich auf, wirft die Enzianflasche wütend weg und beginnt ein neues Leben. Welche Rolle wird der Ex-Polizistin Harriet Möller dabei noch zukommen? – Bestünde diese Erzählung nur aus der Leidensgeschichte von Rufus, wäre das auch schon lesenswert, aber es geht in "Vatermilch" um mehr, wie schon der Buchtitel zum Ausfruck bringt. Die Zeichnung auf dem Titelbild dieses zweiten Bandes macht es deutlich: Rufus' Sohn Victor steht mit lädiertem Fuß neben seinem grünen Inneren Ulrich, augenscheinlich ein Abbild des Autors, und sieht in der Ferne seine schwangere Frau Franzi und seinen Sohn Bela an einem Gipfelkreuz stehen. Das lässt die LeserInnen hoffen, dass Victor für sich und seine Familie aus den Parallelitäten zum Leben seines Vaters lernt und einen Weg nach oben findet. (adi)

 
Jean-Yves Mitton/Scott Goodall/Norman Worker: Das Phantom 1 Das Phantom 1 (Jean-Yves Mitton/Scott Goodall/Norman Worker et al., Kult Comics 2023, 148 S., SC, schwarzweiß)
In den ersten vier Abenteuern des Phantom, die Jean-Yves Mitton ("Vae Victis", "Quetzalcoatl") um 1989 zeichnete, tritt der maskierte Dschungelheld zusammen mit seinem Hengst Hero und dem Wolfshund Devil gegen die Verursacher für eine vergiftete Umwelt, gegen Goldräuber, gegen illegale Baumfäller und gegen Orchideendiebe an. – Im nun vorliegenden ersten Band von "Das Phantom" wird zum Einstieg in die vier Phantom-Dschungelabenteuer der berufliche Werdegang des Zeichners Jean-Yves Mitton vorgestellt, der in Lyon begann. Bernd Frenz, der Autor der Biographie erwähnt, dass Jean-Yves Mittons erste Arbeit im Comicbereich darin bestand, die Comics von anderen zu retuschieren. In seinen drei Jahren als Retuscheur zeichnete Mitton selbst keine eigenen Comicseiten mehr. Frenz zeigt in seiner Einleitung Beispiele von dem, was in Frankreich damals alles zu retuschieren war. Sogar eine Mumie musste weg. Solche Überreaktionen der Zensurbehörden kennen wir auch aus Deutschland, zum Beispiel bei "Akim" oder "Sigurd". Der Verlag, für den Mitton in Lyon arbeitete, wurde an den schwedischen Verlag semic verkauft. Da dieser nach Zeichnern für "Phantom" suchte, kam Mitton an die Aufgabe, die nun vorliegenden Episoden über den "wandelnden Geist" aus der Totenkopfhöhle zu zeichnen. Und merke: "Wenn das Phantom sich bewegt, ist es schneller als der Blitz." (adi)

 
G. Willow Wilson/Marcio Takara/Atagun Ilhan: Poison Ivy - Metamorphose 2 Posion Ivy - Metamorphose 2 (G. Willow Wilson/Marcio Takara/Atagun Ilhan, Panini 2023, 156 S., SC, farbig)
"Wir sind Stecklinge vom selben Baum", verrät die neu aufgetauchte Gegnerin Beatrice Crawley einer kraftlosen Poison Ivy (d.i. Dr. Pamela Lillian Isley), die die in ihr wütenden Pilze Ophiocordyceps lamia kaum noch beherrschen kann. Worauf Beatrice anspielt, ist ihre gemeinsame Vergangenheit im Labor von Dr. Jason Woodrue ("Floronic Man"), den Pamela in Metamorphose 1 bereits beseitigen konnte. Aber nun ist da Beatrice mit ihrem Fracking-Unternehmen FutureGas, welches die Natur bedroht. Wie ein Günter Wallraff schleicht sich Pamela in diese Firma als Hilfskraft ein, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sie stößt auf einen "Glibber voller Lamiasporen". Da droht etwas, völlig aus dem Ruder zu laufen. – Neben dem Problem mit dem FutureGas-Schleim treibt Pamela ihr Liebesverhältnis zu Harley Quinn um. Sie konnte sich nach der Trennung von der Clown-Prinzessin dazu entschließen, ihr dann doch wieder Briefe zu schreiben, die ihre unverstellten Gefühle zum Ausdruck bringen. Harley kommt vorbei. Sie schwärmt: "Ich will nur hier sein mit dir. Die gleiche Luft atmen." Wenn in dieser Luft aber einige Lamiasporen sind, dann dürfte dieser Wunsch zu einem farbenfrohen Trip werden. Und wenn ein Lamiastamm entkommt und wild wächst, dann wird Pamela mit vielen pilzigen Auswüchsen zu kämpfen haben. Der Zeichner und der Kolorierer lösen die Wechsel in die halluzinierenden Wahrnehmungen überzeugend. (adi)

 
Jinushi: Smoking behind the supermarket 1 Smoking behind the supermarket 1 (Jinushi, Carlsen 2023, 242 S., Tb., schwarzweiß)
Dass sich SchülerInnen hinter der Turnhalle verstecken, um heimlich zu rauchen, das hört man des Öfterern. Aber warum geht der 40-jährige Angestellte Herr Sasaki dazu immer wieder hinter einen Supermarkt? Man könnte denken, das läge an Frau Yamada, der Lichtblick seiner stressigen Arbeitstage und immerlächelnde Kassiererin an Kasse 2 seines Lieblingssupermarkts. Aber diese junge Frau raucht doch gar nicht!? – Ausgerechnet an einem Tag, an dem er seinen Lichtblick besonders nötig hat, ist Frau Yamada nicht da. Das drängt ihn, sich zur Entspannung umgehend eine Zigarette anzustecken. Der unbeholfene, schüchterne Mann gelangt auf der Suche nach einem Ort, wo hier das Rauchen erlaubt ist, in den Liefereingangsbereich, wo ihm Frau Tayama zuwinkt, die seine Absicht sogleich errät. – So beginnt eine Erzählung in einer mangatypischen Bildsprache, die Sasaki durch eine Folge von Peinlichkeiten führt, deren Umfang und Tiefe von seinem zwanghaften Wesenszug zu Rücksichtnahme und Zurückhaltung bestimmt ist. Auch wenn dieser Manga ganz überwiegend "nur" aus Dialogen besteht, so entwickelt sich doch eine den Lesenden fesselnde Spannung hinsichtlich der Entwicklung der Beziehung eines so schüchternen Menschen zu einer weitaus abgeklärteren jungen Dame... und zur Supermarktchefin. (adi)

 
André Franquin: Die Bravo Brothers Die Bravo Brothers (André Franquin, Carlsen 2023, 88 S., HC, farbig und schwarzweiß)
Die turbulente Geschichte um Gastons gut gemeintes und affenartiges Geburtstagsgeschenk für Fantasio erhält man in dieser "Deluxe-Ausgabe" gleich in zweierlei Weise: in Farbe und in Schwarzweiß. Frisch neu ins Deutsche übersetzt und neu koloriert lassen zunächst drei wohldressierte Primaten ihre Kunststücke auf den sedierten Redaktionsleiter Fantasio los. Daran schließt sich der kenntnisreich kommentierte Nachdruck der originalen Zeichnungen von Maître André Franquin an, also in Schwarzweiß mit französischem Text. In den die faksimilierten Originalzeichnungen begleitenden Texten erläutern die Autoren die Umstände und Details des Erscheinens dieses herausragenden Funnys. Isabelle, die Tochter Franquins, steuert Einzelheiten aus ihrem Erleben der väterlichen Tuns bei. – Der Vorabdruck von "Bravo les Brothers" startet am 14. Oktober 1965 in der belgischen Zeitschrift "Spirou" #1435. Es zeigt sich Franquins großes Können im Zeichnen von Tieren, wie wir es danach immer wieder zu sehen bekommen, seien es Kühe, Katzen, Marsupilamis oder Lachmöwen. – Herr Bruchmüller reagiert übrigens auf die Affenshow unverhofft begeistert. Kommt es also in diesem Fall endlich zu der von uns allen seit Jahren herbeigewünschten Vertragsunterzeichnung? (adi)

 

November 2023


Mark Waid/Mahmud Asrar/Scott Godlewski: Batman vs. Robin 1 Mark Waid/Riccardo Federici/Mahmud Asrar: Batman vs. Robin 2 Batman vs. Robin 1 (Mark Waid/Mahmud Asrar/Scott Godlewsi, Panini 2023, 164 S., SC, farbig)
Batman vs. Robin 2 (Mark Waid/Riccardo Federici/Mahmud Asrar, Panini 2023, 140 S., SC, farbig)
Wer Prügel- und Schlachtencomics mit Superhelden und Supermagiern mag, dem kommt der abgestumpfte Autor offenbar gerne entgegen: "Es reicht nicht, die Rippen nur zu brechen. Ihre Splitter müssen die Lunge durchbohren", ruft Damian seinem Vater Batman zu, als er dabei ist, diesen final zu vermöbeln. Damian ist der Sohn von Batman und Talia Al Ghul. Den eigenen Vater zu Brei schlagen zu wollen, lässt für gewöhnlich annehmen, dass mit dem Sohnemann etwas nicht stimmt. Ja, es ist Magie im Spiel. Zwar stören Batman die ihm zugefügten Verwundungen und gebrochenen Knochen nicht entscheidend, doch Alfred Pennyworth, der ihn gelegentlich zusammgeflickt und unterstützt hat, kann ihm in dieser bedrohlichen Situation eigentlich nicht mehr helfen, da er 2019 von Bane getötet wurde. Und doch lässt der Autor den Alfred in einer besonderen Rolle auftreten, wie sich Waid überhaupt darin zu gefallen scheint, möglichst alle SuperheldInnen und MagierInnen des DC-Universums in diesem von Lazarus-Serum verseuchten Ambiente mitspielen zu lassen. Das reicht von Superman bis Poison Ivy, vom Affenkönig Sun Wukong (aus den chinesischen Sagen) bis zu Kain und Abel (aus "Sandman"). Aus dem Figurengewimmel ragen aber doch sehr deutlich die ganz Bösen hervor, das sind hier der Teufel Nezha mit seinem Sohn King Fire Bull, und Damians Großmutter, die Mother Soul. Zu den Guten könnte die Sympathieträgerin Black Alice (d. i. Lori Zechlin) zählen, die mit ihrer Fähigkeit, magische Kräfte von anderen einzusammeln, Entscheidendes zur Rettung der Erde beizutragen hätte. (adi)

 
Ram V/Filipe Andrade: Laila Starr The Many Deaths of Laila Starr (Ram V/Filipe Andrade, Cross Cult 2023, 144 S., HC, farbig)
Mehrarmige Gottheiten wie Shakti oder Shiva und die mehrköpfige Manifestation des Höchsten, Brahma, begegnen uns in hinduistischen Tempeln und in dieser Erzählung des aus Mumbai (vormals Bombay) stammenden Autors Ram V. Ihre sechs Arme, wie sie uns das Titelbild zeigen, verliert die hier als Tod fungierende Göttin jedoch wegen eines unumkehrbaren Verwaltungsaktes. Der höchste Gott (Brahma) erklärt ihr: "Ja, Tod, ich fürchte, wir müssen dich entlassen. – WAS?! – N... Na, na... Es ist nichts Persönliches! W... Wir strukturieren die gesamte Abteilung um." Grund für diese überraschende Abkehr von einer jahrtausendealten Praxis ist die Geburt von Darius Shah, einem Kind, "welches ewiges Leben bringt." Somit wird Tod entlassen und zum Abschied ein menschlicher Körper gegeben. Sie wird in diesem als Laila Starr etliche Male sterben, wie der Buchtitel verrät, wiederholt wiederbelebt von Pranah, dem Gott des Lebens, bevor den Lesenden der Clou der klugen Geschichte klar wird (und die Unsterblichkeit zum Glück den Bach runtergeht). – Zur grafischen Darstellung einer solchen Geschichte verbietet sich ein allzu realistischer Stil geradezu. Daher brachte die Wahl von Filipe Andrade als Zeichner mit dessen Gefühl für Atmosphäre und gekonnten manieristischen Übertreibungen den richtigen Künstler für dieses lebendige Buch. (adi)

 
Bart Proost/Verhast: Caspar David Friedrich - Der Maler der Stille Caspar David Friedrich: Der Maler der Stille (Bart Proost/Verhast, stainlessArt 2023, 76 S., SC, schwarzweiß)
Die großen Ausstellungen anlässlich des 250. Geburtstages von Caspar David Friedrich, deren erste am 15.12.2023 in der Hamburger Kunsthalle beginnt, werfen ihre Schatten voraus. Nach der Neufassung einer kleinen Comic-Biografie über diesen herausragenden Maler der Romantik, die am Anfang dieses Jahres unter der Überschrift "Allein" herauskam, ist nun eine deutlich längere Arbeit erschienen, die Leben und Werk des "Malers der Stille" in sechs Abschnitten erzählt. Zwischen diesen Abschnitten umschreiben "Tagebucheinträge" von Verhast (d. i. Stijn Verhaeghe) und Zitate aus den Schriften des Malers die jeweilige Gefühlswelt Caspars, zum Beispiel beim Rückblick auf den tödlichen Unfall von Caspars Bruder Johann beim Schlittschuhlaufen, der mit dem Werk "Das Eismeer" (1823/24) verknüpft wird, oder bei den Betrachtungen zur Natur in seinen Wanderungen durch das Elbsandsteingebirge ("Kreuz im Gebirge", 1807/08) oder durch das Riesengebirge ("Der Wanderer über dem Nebelmeer", um 1818). Der Zeichner schafft es, durch Auswahl und grafischer Gestaltung von sechs Lebensabschnitten und durch Beifügung eindrücklicher Texte sowohl die Stimmung einfühlsam zu vermitteln, die von Caspar David Friedrichs Gemälden ausgeht, als auch den vornehmlich leidvollen Verlauf seines Lebens "mit dem Auge des Geistes" betrachten zu können, wie es Caspar formuliert. (adi)

 
Roberto Saviano/Asaf Hanuka: I'm still alive - Im Fadenkreuz der Mafia I'm still alive - Im Fadenkreuz der Mafia (Roberto Saviano/Asaf Hanuka, Cross Cult 2023, 136 S., HC, farbig)
Immer vorsichtig sein, laufend den Aufenthaltsort wechseln, von Personenschützern abgeschirmt, an einem normalen Leben in der Öffentlichkeit gehindert, Roberto Saviano muss sich seit der Veröffentlichung von "Gomorrha", sein Buch gegen die organisierte Wirtschaftskriminalität durch die Camorra in Neapel, vor Anschlägen von Mafia-Killern schützen lassen. Das erinnert an Salman Rushdie, der sich lebenslang vor mordlüsternen Religionsfanatikern verstecken muss. Was ein solches Leben bedeutet, welchen Vorbehalten man ausgesetzt ist, welche Dinge man sich sehnsüchtig erhofft, zum Beispiel frei spazieren zu gehen oder mit dem Bruder unbeschwert Tischfußball zu spielen, das schildert Saviano in diesem Buch. Seine Motive, seine Erlebnisse, seine Gefühle werden von Asaf Hanuka gekonnt in Bilder gesetzt. Dass der Politiker Salvini daran gedacht hat, den Polizeischutz für Saviano zu beenden, wie hier im Buch zu lesen, mag man nicht glauben. Dem Einflussbereich von Camorra, 'Ndrangehtta, Sacra Corona Unita und Cosa Nostra kann man offenbar nur durch Flucht ins entfernte Ausland entkommen, falls sich eine Fluggesellschaft findet, die einen derart von der Mafia Bedrohten an Bord lässt. (adi)

 
Rafael Grampá/Matheus Lopes: Batman - Der Gargoyle von Gotham 1 Batman: Der Gargoyle von Gotham 1 (Rafael Grampá/Matheus Lopes, Panini 2023, 56 S., HC, farbig)
Mit so einem Gargoyle wie man ihn als das Böse abschreckende Figur außen an Kirchen als Wasserspeier zu sehen bekommt, hat es der technisch gepimpte Batman in diesem ersten von vier Bänden nicht zu tun. Übermäßig verzerrte Gesichtszüge könnten unseren Gothamer Verbrechensbekämpfer ohnehin nicht abschrecken, doch ein schwarzer Gegner mit von weißen Tränen durchzogenem Gesicht und einem blutigen, blitzschnell geschwungenen Zimmermannshammer verlangen Batman und Alfred Respekt ab. Detective Jim Gordon hat es in dieser Zeit mit einer mysteriösen Mordserie zu tun, zu deren Aufklärung er sich Batman herbeiwünscht. Aber Alfred muss diesen erst wieder zusammenflicken. Batman plant, Bruce Wayne sterben zu lassen, um sich besser auf die Kriminalitätsbekämpfung konzentrieren zu können. Ein neues, sensationelles Fahrzeug, die "Blind Machine", steht bereit. Da muss nur noch das GPS richtig funktionieren. – Diese für sich allein stehende Serie erschien zum Batman-Tag 2023 und kommt in den USA offenbar zeitgleich heraus. In ihrer Unabhängigkeit von der Continuity, ihrer grafischen Ungebundenheit und in ihrem Format schließt sie an die Superschurken-Reihe an. (adi)

 
Mark Russell/Richard Pace/Leonard Kirk: Second Coming 1: Die Wiederkunft Second Coming 1: Die Wiederkunft (Mark Russell/Richard Pace/Leonard Kirk, Dantes 2023, 184 S., SC, farbig)
Jesus soll es ein zweites Mal versuchen. Nach der grausigen Erfahrung von vor zweitausend Jahren, schickt Gott ihn dieses Mal nicht nach Bethlehem in einen Stall, sondern nach Urban City in die WG vom superkräftigen Sunstar (d.i. Ken vom Planeten Zirkonia) und seiner Freundin Sheila Sharp. In dieser Umgebung wird Jesus sich nun hoffentlich ungefährdet unter den Menschen umsehen können und lernen, "die Sache wie ein wahrer Held anzugehen". Sunstar ist tatsächlich so etwas wie der allbekannte Superman, aber mit "Solanit" statt Kryptonit als Schwachpunkt, und Sheila ist die zugehörige Lois Lane, also Reporterin. Beide haben eigentlich das Problem, ihren Wunsch nach einem eigenen Kind erfüllt zu bekommen. Aber nun haben sie Jesus. Es beginnt eine Zeit, in der alle Seiten neue Erkenntnisse gewinnen müssen. – Diese Mischung aus Bibel- und Superheldencomic setzt keine der beiden Seiten einer bissigen Kritik aus, weder der göttlichen noch der superheldigen, falls es da überhaupt einen Unterschied gibt. Vielmehr erlaubt die eher humorvolle Darstellung der beiden Erzählwelten seitens der LeserInnen eine vergnügliche Zustimmung zu leisen Zweifeln und neuen Einsichten. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Vorwort des Autors, der sich wegen der Anfeindungen durch irgendwelche Verbiesterten hier erklären zu müssen glaubt. Das muss er gar nicht. (adi)

 
Stephanie Phillips/Flaviano: Grim 1: Fürchte nicht den Tod Grim 1: Fürchte nicht den Tod (Stephanie Phillips/Flaviano, Cross Cult 2023, 128 S., HC, farbig)
Jessica Harrow ist als "Reaper" tätig, also als Sensenfrau, die die Toten auf ihren Weg ins Jenseits begleitet und diese wie dermaleinst Charon mit einem Nachen ins Totenreich hinüberbringt. Erste Überraschung: Dort sieht es zunächst gar nicht so finster aus wie bei "Spawn" oder Dante, sondern eher wie auf einem riesigen Einwohnermeldeamt. Eine zweite Überraschung folgt, als Jessica feststellen muss, dass ihr der letzte Verstorbene die für ihre Tätigkeit so wichtige Sense gestohlen hat. Die muss sie zurückholen. Zusammen mit ihren Freunden und Kollegen Marcel und Eddie beginnt damit für sie ein totenweltliches Abenteuer, in der die Autorin auch einen Darth-Vader-Luke-Skywalker-Moment aufbietet, um die Auseinandersetzung zwischen Adira, der regierenden Jenseitschefin, und ihrem Vorgänger auf die Spitze zu treiben. – Die Erzählung wird noch dadurch komplizierter, dass eine ebenso finstere wie gewalttätige Figur namens End ihrem Auftrag gerecht werden muss und auch will, jegliche Ungleichgewichte zwischen den Lebenden und Toten aus der Welt zu schaffen. Jessica stellt für ihn eine solche Störung da. Die erfolgreiche Autorin Stephanie Phillips hält für den Lesenden einen überraschenden Ausgang aus dieser von mehreren gegenläufigen Interessen bestimmten Lage bereit. (adi)

 
Junji Ito: Tomie - Es gibt kein Entkommen Tomie - Es gibt kein Entkommen (Junji Ito, Carlsen 2023, 760 S., HC, schwarzweiß)
"Eine Schönheit, so zerstörerisch wie unzerstörbar!" Dieser Satz vom Backcover des weit über 700 Seiten dicken Horrormanga beschreibt dessen Hauptfigur bestens. Tomie Kawakamie wird in einer der zwanzig Episoden, aus denen dieser mächtige Band besteht, mit einem Plattwurm verglichen, den man in Einzelteile zerschneiden könne, aus all denen dann wieder neue Plattwürmer erwachsen. Es heißt beim DLF, "der spätere Nobelpreisträger Thomas Hunt Morgan [...] hatte den winzigen Wurm in über 200 Teile zerschnitten und ebenso viele neue Würmer erhalten". Man stelle sich also vor, dass die wunderschöne Tomie in Form von Hackfleich in einem Kübel Sake aufgelöst und so abgefüllt in Flaschen in ganz Japan verteilt wird. Junji Ito erlaubt sich diesen Gedanken und führt uns eine solche Vorstellung grafisch vor Augen. Nun wäre eine Welt voller wunderschöner Tomies mit ihrem Schönheitsfleck unterm rechten Auge ja eigentlich nichts Schlimmes. Aber zu ihren Eigenschaften kommt hinzu, dass etwas Dämonisches in ihr ist, das man höchstens in Fotografien oder Bildern von ihr erfassen kann, das dazu führt, dass ihr die Männer rettungslos verfallen und sich dann ihrem Los hingeben, Tomie zerstückeln zu wollen. Tomie ist leider nicht zu stoppen. (adi)

 
Tom King/David Marquez: Batman - Killing Time Batman: Killing Time (Tom King/David Marquez, Panini 2023, 152 S., SC, farbig)
Erstaunlich gebaut hat der Autor Tom King seine 2022 in sechs Kapiteln geschriebene Batman-Erzählung über ein begehrtes Artefakt aus uralten Zeiten. Jetzt liegt die Geschichte als Sammelband in Deutsch vor. Es ist, als wären die einzelnen Blätter eines Tagebuchs durcheinander geraten und lägen den LeserInnen jetzt bunt durchmischt vor, aber jedes mit einer Zeitangabe versehen und doch so wohlgeordnet, dass die Abfolge der Szenen trotz der Stückelung Spannung und Leselust bringt. – Die Hauptfiguren der Story erkennt man bereits auf dem Titelbild: Die Hände entschlossen zu Fäusten geballt erhebt sich Batman über seine schurkischen Gegenspieler Riddler (d.i. Edward Nigma), Catwoman (d.i. Selina Kyle), Killer Croc (d.i. Waylon Jones) und dem Pinguin (d.i. Oswald Cobblepot), denen es (selbstverständlich) um den Erwerb von Reichtümern geht. Im geöffneten Tresor, den das Cover unten links zeigt, sucht die kriminelle Crew nicht Geld oder Gold, sondern einen wertvollen Gegenstand, an dessen Erwerb die US-Agentin Nuri Espinoza großes Interesse zeigt und daher viel Geld bietet. Doch zunächst überfällt Killer Croc eine Bank und seine Freundin Vera Angleton erhält vom ominösen und kampfstarken Helfer eine Reisetasche voller Dollarscheine. (adi)

 

Oktober 2023


Ersin Karabulut: Das Tagebuch der Unruhe - Teil 1 Das Tagebuch der Unruhe - Teil 1 (Ersin Karabulut, Carlsen 2023, 152 S., HC, farbig)
Der Vater des Comiczeichners Ersin versuchte früher erfolglos, sich als Zeichner etwas Geld dazuzuverdienen. Kein Wunder also, dass er dem Wunsch seines Sohnes ablehnend gegenübersteht, den Beruf eines Zeichners zu ergreifen. Ersin soll Ingenieur werden, Ersin liebt aber das Comiczeichnen. Besonders heikel erscheint dem Vater die Mitarbeit seines Sohnes an Zeitschriften mit politischen Karikaturen, denn er musste in der Zeit der gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen linken und rechten Gruppierungen miterleben, wie fanatische Parteigänger seinen Freund erschossen. Mit Hilfe eines Schwindels schafft es Ersin, dass der Vater dann doch seinem Studium an der Kunsthochschule zustimmt. – Dieser autobiographische Comic gibt nicht nur (teilweise recht humorvolle) Einblicke in das Leben eines Jungen aus der bürgerlichen Mittelschicht in Istanbul, sondern auch in die politische Entwicklung des Landes nach dem Militärputsch von 1980 und in die spätere Hinwendung der Menschen zu Erdogans AKP. Besonders die Änderungen im Umgang mit der Freiheit der Presse und der Karikatur sind dabei erschreckend und lassen mit dem Zeichner fühlen, für den es sehr schwierig wird, als Erdogan auf dem Cover einer Zeitschrift als Tier gezeichnet wird. Das lässt sich ein Erdogan nicht gefallen. (adi)

 
Jeph Loeb/Tim Sale: Marvel Must-Have 83: Spider-Man - Blue Marvel Must-Have 83: Spider-Man - Blue (Jeph Loeb/Tim Sale, Panini 2023, 164 S., HC, farbig)
Diese sechs US-Hefte lange Story von 2002 dreht sich um die Beziehung von Peter Parker zu gleich zwei ihn faszinierenden Frauen, zur blonden Gwen Stacy, mit der er zusammen am College studiert, und zu Mary Jane "MJ" Watson, der Nichte von Anna Watson, der besten Freundin von Tante May. Seine Erlebnisse aus dieser Zeit der schüchternen Verliebtheiten spricht Peter auf Kassette, wodurch die LeserInnen dieses Comics beim "Zuhören" von den näheren Umständen erfahren, die es Peter nicht ermöglichten, Gwens offensichtliches Interesse an ihm sogleich zu erwidern. Der Green Goblin (d.i. Norman Osborn) wird dem Ganzen ein tragisches Ende setzen. Auf Peters Niedergeschlagenheit wird durch den Buchtitel "Blue" verwiesen. Kurios, dass Peter ausgerechnet von Harry Osborn, dem Sohn von Norman Osborn, eine mietfreie Wohnung angeboten bekommt. Doch er ist mit seinem Job als Fotograf beim "Daily Bugle" und durch die Kämpfe gegen Rhino, Lizard (d.i. Dr. Curt Connors) und vor allem gegen gleich zwei Vultures so beschäftigt, dass er nicht nur die Party zur Einweihung der neuen Wohnung verpasst, sondern auch Gwen und MJ. – Im Anhang des Buches findet man Anmerkungen zu dieser einfach gebauten, klassischen Geschichte, auch vom Texter und vom Zeichner, die bei der Einordnung in das Spider-Verse helfen. (adi)

 
Fabcaro/Didier Conrad: Asterix 40: Die weiße Iris Asterix 40: Die weiße Iris (Fabcaro/Didier Conrad, Egmont Ehapa 2023, 48 S., SC, farbig)
Den Widerstandswillen der unbesiegbaren Gallier aus dem Dorf von Asterix und Obelix von innen heraus zu brechen, das haben schon mehrere im Auftrag Julius Caesars versucht. Da gab es Quadratus, der durch den Bau einer Trabantenstadt die Gallier assimilieren wollte, dann plante Technokratus, die Gallier durch Hinkelsteinverkauf zu Reichtum zu bringen und dadurch verweichlichen zu lassen, unvergessen auch Roms Vesuch durch Tullius Destructivus im Dorf Streit zu säen, und jetzt, in diesem 40. Band, beginnt Visusversus in Caesars Auftrag eine Charmeoffensive namens "Weiße Iris", um das Dorf in die Arme Cäsars zu treiben. Die Iris (Schwertlilie) stand bei den Römern symbolisch wohl für Treue und Tapferkeit, französische Könige nutzten sie als Zeichen ihrer Herrschaft, hier wählt Visusversus die Iris als Zeichen für seine Methode des positiven Denkens: "Denn tief in uns allen schlummert eine Blume, die heranwächst, um in Geborgenheit zu erblühen". Cäsar hält das zwar für Geschwafel, aber sowohl im Dorf der Gallier, als auch bei den Legionären und Piraten kommen Visusversus' Wohlfühlsprüche wirkungsvoll an. Auch Gutemine lässt sich so von Visusversus um den Finger wickeln. Asterix und Miraculix ahnen Unheil, aber selbst mit Troubadix' Hilfe ("Tote Hosen nach Atheeeen!") kommen sie gegen die gruselige Achtsamskeitsstimmung im Dorf nicht an. Als dann die leichtgläubige Gutemine von Visusversus zu einer Fahrt mit ihm allein nach Lutetia aufbricht, wird es höchste Zeit tätlich einzugreifen. – Die neue Asterix-Erzählung mag im vorderen Teil nach einem Aufwärmen von Altbekanntem aussehen, aber die Fahrt von Majestix' "Minchen" im Thalix nach Lutetia, Verfolgungen per Tretroller und blaue Veilchen bieten dann den Witz, der Asterix-Bände bestens und Cäsar sehr geärgert dastehen lässt. (adi)

 
Zidrou/Frank Pé: Marsupilami: Die Bestie 2 Marsupilami: Die Bestie 2 (Zidrou/Frank Pé, Carlsen 2023, 208 S., HC, farbig)
Das gelb-schwarzgepunktete Tier mit dem 8,53 Meter langen Schwanz wird von Professor Jacques Sneutvelmans als Kryptid aufgefasst, also als so etwas Unbewiesenes wie das Ungeheuer von Loch Ness. Er ordnet es folglich seinem ureigenen Forschungsgebiet zu, der Kryptozoologie, so dass er zusammen mit seinem Assistenten Doktor Bora erreichen will, das in alten Schriften als "El Cola-Cola" beschriebene Wesen aus dem Tierheim, in dem es eingesperrt wurde (siehe Die Bestie 1), heraus in sein Labor zu holen. Er hofft, durch die eingehende Untersuchung und Beschreibung dieses seltsamen Tieres größtmöglichen wissenschaftlichen Ruhm zu erreichen. Zur gleichen Zeit ist aber auch der Junge François van den Bosche wild entschlossen, seinen "Gelbschwanz" zu befreien und heimlich nach Deutschland zu bringen. An einem winterlichen Tag startet er mit seinem trunksüchtigen Pferd Zat und dem Frischling Marquis zur Rettungstat. – Das teilweise sehr dramatische Geschehen um unser geliebtes Marsupilami setzt Frank Pé meisterhaft in Bilder um, zeichnerisch großartig, mit bis zu doppelseitigen Panels, deren Größe die jeweilige Stimmung unterstreicht und die (elektrische) Spannung mitfühlen lässt. Dem erfahreneren Leser werden die Bildzitate nicht entgehen, die die Autoren in dieses dicke Buch einbrachten, zum Beispiel die Begegnung mit Tim, Haddock, Bienlein in "Der Sonnentempel", die alten Straßenbahnen, das Nest des Marsupilamis und die Innenarchitekturen vom belgischen Naturkundemuseum und vor allem vom Warenhaus des Charles Waucquez, in dem heutzutage das belgische Comicmuseum untergebracht ist. (adi)

 
James Tynion IV/James Stokoe/Carlo Pagulayan/Guillem March et al.: Batman Paperback 3: Geister der Vergangenheit Batman Paperback 3: Geister der Vergangenheit (James Tynion IV/James Stokoe/Carlo Pagulayan/Guillem March et al., Panini 2023, 180 S., SC, farbig)
In der Reihe "Batman Paperback" erscheinen derzeit die US-Batman-Hefte ab #86 von 2020 und 2021 in Deutsch, die von den einschneidenden Machenschaften erzählen, mit denen Bruce Wayne (aka Batman) aus Haus, Hof und Höhle vertrieben wird (siehe Batman Paperback 1). Im Band 2 "Joker War" tat sich Punchline (d.i. Alexis Kaye) als Nachfolgerin von Harley Quinn hervor, was die üblichen brutalen Aufgaben einer Gespielin des Jokers angeht. Harley wandte sich demgegenüber entschieden von "Mistah J" ab und unterstützte den von Punchline vergifteten Batman. Es gelang ihr und Batmans Freunden, den Dunklen Ritter wieder herzurichten und den Joker von seiner Absicht abzuhalten, massenweise Gothamer Bürger zu ermorden. Aber trotz Harleys energischer Bemühungen um ein endgültiges Aus für den Killerclown, überlebte der Joker (wieder einmal). Denn Batman killt niemanden, sondern rettet alle. Diese Einstellung teilt Ghost Maker (d.i. Minhkhoa Khan), ein alter Kumpel aus der gemeinsamen Lehrzeit (vgl. Batmans Reise), gar nicht. Er hält Mitgefühl mit Kriminellen für eine Schwäche. Ghost Maker kommt nun entgegen einer alten Abmachung nach Gotham und will den Clownhunter (d.i. Boa Pham) beseitigen, über den Batman jedoch seine schützende Hand hält. Das wird auch ein Fall für die blonde Psychiaterin mit den roten und blauen Zöpfen. (adi)

 
Valentina Grande/Eva Rossetti: Gertrude Stein und ihr Salon der Künste Gertrude Stein und ihr Salon der Künste (Valentina Grande/Eva Rossetti, Knesebeck 2023, 120 S., HC, farbig)
In Paris lebte Gertrude Stein zusammen mit ihrem Bruder Leo. Die beiden waren 1903 in die französische Metropole gezogen, wo sie als Kunstliebhaber und -sammler mit der Avantgarde der Malerei und der Schriftstellerei zusammentreffen konnten. Diese fragmentarische Biographie gibt Einblicke in jene Zeit, in der man sich im famosen Salon der Steins zum Gedankenaustausch mit Picasso, Matisse, Gris und anderen Künstlern der Moderne traf. Stein bezeichnete in den 1920ern gegenüber Hemingway diejenigen zur "Lost Generation" gehörig, die Kriegsdienst leisten mussten. Darauf bezieht sich, nicht ganz passend, der originale, italienische Titel des Buches. – An den Wänden des Salons hingen Bilder von Cézanne, Gauguin und anderen, die den Steins gefielen. Die Zeichnerin gibt die Petersburger Hängung und die Atmosphäre im Salon so wieder, wie man es sich dank der Fotos von damals vorstellt. An zwei Stellen im Buch befinden sich figürliche Darstellungen, die aus Buchstaben zusammengesetzt sind, womit auf Steins Streben nach einer Verbindung von Literatur und Malerei eingegangen wird. Die Autorin wählte als erzählende Figur einen fiktiven männlichen Journalisten, der sowohl vom Steinschen Salon, als auch über das Verhältnis von Gertrude Stein zu ihrer Partnerin Alice Toklas berichtet. Ihretwegen zog Leo 1913 aus der gemeinsamen Wohnung aus. Aber der Salon lief weiter. (adi)

 
TurtleMe/Fuyuki23: The Beginning After the End 1 The Beginning After The End 1 (TurtleMe/Fuyuki23, Carlsen 2023, 190 S., Tb., farbig)
Wiedergeboren zu werden, das könnte für Arthur "Art" Leywin im Grunde erfreulich sein. Da er sich aber an sein Vorleben als König Grey erinnert, erscheinen ihm die Einschränkungen durch seinen jetzigen Babykörper sehr lästig. Insbesondere kommt er in seinem neuen Zuhause erst dann an Bücher heran, als er leidlich krabbeln gelernt hat. Er lernt über seine neue Welt, dass sie von Mana erfüllt sei, einer Art magischer Substanz, die man zu verschiedenen Zwecken in sich ansammeln kann. Im Alter von vier Jahren hat er davon so viel intus, dass seine Mutter Alice, eine Heilerin, und sein Vater Reynolds, ein Kämpfer, beschließen, ihn zu einem fähigen Lehrer nach Xyrus City zu bringen. Aber Reisen ist im Königreich Sapin gefährlich. Dafür braucht man einen schlagkräftigen Freundeskreis und genug Mana. – Dieser farbige, von vorne nach hinten zu lesende, nunmehr also gedruckte Tapas-Webcomic wurde von TurtleMe geschrieben, dessen Klarname als Brandon Lee oder als Tae Ha Lee angegeben wird. Der erste Teil seiner Romanvorlage für den Webcomic stammt von 2017. Seither sind weit über 400 Kapitel erschienen. Der indonesische Zeichner Fuyuki23 (d.i. Duta Permana) gibt der klar lesbaren Fantasy-Story das typische Aussehen eines Manhwa. (adi)

 
Ryousuke Tomoe: Museum - The Serial Killer is Laughing in the Rain Museum - The Serial Killer is Laughing in the Rain (Ryousuke Tomoe, Carlsen 2023, 708 S., HC, schwarzweiß)
Es verteilt jemand Strafzettel. Auf ihnen steht zum Beispiel "Die Strafe >Das Füttern der Hunde<" oder "Die Strafe >Den Schmerz einer Mutter spüren<". Die so bestraften Opfer werden brutal ermordet aufgefunden. Auf mildernde Umstände für ihre angeblichen Taten nimmt die hinrichtende Person mit der seltsamen Froschmaske (siehe Titelbild) keinerlei Rücksicht. Der Polizist Hisashi Sawamura trägt seinem Vorgesetzten schon früh seine Ansicht vor, es handele sich um Lynchjustiz, was dieser jedoch erst einmal als Fantasterei abtut. Sawamuras Kollege Junishi Nishino hat beim Anblick der Tatorte zwar mit seinem Magen zu kämpfen, ist jedoch anschließend im Dienst und bei der Analyse der Tathergänge ein guter Partner. – Außer mit der Aufklärung der Mordfälle hat Sawamura noch mit dem Vorwurf seiner Frau Haruka zu kämpfen, er sei als Vater und Ehemann das Allerletzte. Nie nähme er sich Zeit für seinen Sohn Shota. Als jedoch Nishino mit einem Ermittlungsergebnis kommt, welches eine Verbindung der Morde mit einer tödlichen Gefahr für Haruka und Shota herstellt, muss sich der Polizist plötzlich sehr grundlegend und ausdauernd um seine Familie kümmern. – Auf siebenhundert Seiten erscheint dieser Thriller ergänzt um zwei Kurzgeschichten in einem einzigen, stabilen Mangaband in einem Format, das sich schon bei Frankenstein und Tomb Town bewährt hat. (adi)

 
Steve Orlando/Stephanie Williams/Sara Pichelli/Chris Allan/Russell Dauterman et al.: Scarlet Witch 1: Die magische Tür Scarlet Witch 1: Die magische Tür (Steve Orlando/Stephanie Williams/Sara Pichelli/Chris Allan/Russell Dauterman et al., Panini 2023, 132 S., SC, farbig)
In ihrem spirituellen Laden 'Emporium' verkaufen Darcy Lewis und Wanda Maximoff (d.i. Scarlet Witch) Bücher und 'Kinkerlitzchen', wie Scarlets blitzschneller Zwillingsbruder Pietro (d.i. Quicksilver) die angebotene Ware nennt. Aber in diesen Laden hat die scharlachrote Hexe auch eine magische Tür eingebaut, durch die diejenigen hereinkommen, für die es in ihrer Lage keinen Ausweg mehr gibt. Damit wird Scarlet Witch zu einer Notfallhelferin, die ihre unglaublichen magischen Fähigkeiten in den Dienst der guten Sache stellt. – Interessant wird es, als Vivian Vision in jener Tür steht, eine künstlich geschaffene Humanoide, die mit Hilfe von Scarlets Gehirnwellenmustern programmiert wurde. Jetzt ist Vivian zwar voll funktionsfähig, leidet aber an einem Angriff auf ihren Geist durch eine Art rebellischen Code. Alpträume plagen sie entsetzlich. Scarlet macht sich in Vivians Traumwelt auf, die Ursachen dafür aus Vivians Gedanken zu schaffen. Dabei fehlen die typischen Sprüche aus dem Superheldencomic nicht ("Ich brate dich, Hexe! Der Gestank deines Fleisches wird alle Welten erfüllen!"). Doch Scarlet Witch setzt in diesem und den anderen vier Fällen dieses Comics, in dem als Hauptfiguren nur Frauen auftreten, ihre List und Magie stets erfolgreich ein. (adi)

 
Frank Miller: Sin City - Stadt ohne Gnade Sin City - Stadt ohne Gnade (Frank Miller, Cross Cult 2023, 216 S., HC, schwarzweiß)
Goldie ist tot, als Marv morgens neben ihr aufwacht. Der Ex-GI ist außer sich vor Wut. In Goldies Armen hatte er eine himmlische Nacht verbracht. An ihren Duft, den Duft eines Engels, erinnert er sich im Fortgang der spektakulären Ereignisse immer wieder. (Auch die deutsche Erstausgabe von "Sin City" erinnerte 1994 durch ihren Titel "Engelsduft" daran.) Marv will Goldies Mörder packen, quälen und in die Hölle schicken. Doch erst einmal muss er seiner eigenen Gefangennahme entkommen, die polizeilichen Verfolger sind ihm schon sehr bald auf den Fersen. Marv schafft es, sich verletzt bis zu seiner Bewährungshelferin Lucille durchzuschlagen. Anschließend holt er sich Gladys, seine Pistole. Damit beginnt seine brutal geführte Suche nach Goldies Mörder. Marv und Lucille kommen dabei in tödliche Bedrängnis, aber es fallen trotz allen Leids auch Namen, die womöglich zum Ziel führen: Kevin und Roark. – Frank Miller hat bedeutende Comics geschaffen, zum Beispiel "Batman - The Dark Knight Returns" oder "300". An der Serie "Sin City", die wiederholt in Listen der besten Comics auftaucht und nun in etwas größerem Format neu aufgelegt ist, wird deutlich, wie Miller durch seine exzellente grafische Arbeit und seine Erzählweise zu dieser Wertschätzung gelangt ist. (adi)

 
Dan Watters/Dev Pramanik: Der Mann, der vom Himmel fiel Der Mann, der vom Himmel fiel (Dan Watters/Dev Pramanik, Cross Cult 2023, 128 S., HC, farbig)
Als Ziggy Stardust sang David Bowie bereits 1972 von einem Kontakt zu Außerirdischen, jetzt ist er in dieser Comic-Adaption des Films "The Man Who Fell To Earth" selbst einer. Als Thomas Jerome Newton fällt er auf die Erde. Er ist auf der Suche nach Wasser für seinen Heimatplaneten. Nachdem er sich durch den Verkauf von vielen goldenen Ringen etwas finanziellen Spielraum verschafft hat, gelingt es ihm, mit Hilfe des Patentanwalts Oliver V. Farnsworth mehrere technische Innovationen so gewinnbringend anzubieten, dass er seinem Ziel, dem Bau eines Raumschiffs zum Transport von Wasser, immer näher kommt. In einem Fahrstuhl, der für sein reptiloides Wesen offenbar viel zu schnell in die Höhe steigt, lernt er die hilfsbereite Mary-Lou kennen, die sich auch späterhin um ihn kümmert und der er zunehmend vertraut. Ein zweiter Vertrauter wird Dr. Nathan Bryce, der ihm beim Treibstoffproblem hilft. Wenn nichts mehr dazwischen kommt, kann die weite Heimreise bald beginnen. – Die zehn Interviewszenen, die das Geschehen im Umgang mit dem Außerirdischen näher erläutern, fordern zum zweimaligen Lesen des Buches auf. In diesem Punkt unterscheidet sich der Comic natürlich vom Film, dem er im Übrigen, bis auf Teile in Filmmitte, recht eng folgt. (adi)

 
Enrico Marini: Noir Burlesque 2 Noir Burlesque 2 (Enrico Marini, Carlsen 2023, 128 S., HC, farbig)
Die immer spannender werdende Auseinandersetzung zwischen Slick (d.i. Terry Cole) und Rex (d.i. Rex McKinty), die im ersten Band bereits Fahrt aufnahm, beginnt mit der Planung eines kuriosen Diebstahls: Slick soll das Porträt der Mutter von Don Zizzi stehlen, das ein gewisser Picasso mit der Asche der Verstorbenen gemalt habe. Dabei geht es wenig um den unglaublichen Wert dieses Malwerks, sondern viel darum, den italienischen Unterweltboss tief in seiner Seele zu treffen und ihn erpressen zu können. Zizzi liebt dieses Porträt seiner geliebten Mutter nämlich über alles, eben so stark, wie man sich gemeinhin die Hinwendung eines italienischen Bambino zu seiner Mamma vorstellt. Für Slick springt dabei ein Schuldenerlass heraus und wohl hoffentlich auch mehr Nähe zu Caprice, der attraktiven, rothaarigen Burlesque-Tänzerin, die von Rex weiterhin als sein persönliches Eigentum betrachtet wird (und vom Zeichner als Blickfang für die Leser). Die Aufgabe erscheint Slick zunächst als gut zu bewältigen, aber er bekommt von Rex als Begleiter den groben Butcher, den dämlichen Sharky und den fiesen Crazy Horse an die Seite gestellt, um Zizzis Villa brutal zu überfallen. Zudem droht Rex, sich bei irgendwelchen Tricksereien an Slicks Schwester Rose und deren Sohn Matt zu vergreifen. Das macht die Sache noch weitaus aufregender. (adi)

 
Mark Millar/Peter Gross: American Jesus 1 Mark Millar/Peter Gross: American Jesus 2 Mark Millar/Peter Gross: American Jesus 3 American Jesus 1, 2, 3: Der Auserwählte · Der neue Messias · Die Offenbarung (Mark Millar/Peter Gross, Panini 2020-2023, jeweils 96 S., SC, farbig)
Der dritte Band der Reborn-Jesus-Trilogie von Mark Millar ist da. Im ersten Band erlebte Jodie Christianson, ein zwölfjähriger Junge in Peoria, Illinois, dass er einen Aufprall von einem 18-Tonner ohne Kratzer übersteht, dass er plötzlich und unerwartet in der Schule glänzt und kluge Antworten gibt (wie Jesus mit 12 im Tempel), dass er Gleichaltrige von Asthma und Sehschwäche heilen und den Fahrer des 18-Tonners aus dem Koma herausholen kann (wie Jesus den Lazarus). Sogar den überfahrenen Hund "Angel" setzt er aus seinen Einzelteilen wieder zusammen. Zudem erfährt er, dass seine Mutter nie Sex hatte. Die Sache scheint also klar: Jesus ist zurückgekehrt und heißt jetzt Jodie. Doch die Erzählung, nimmt in der Folge einen überraschenden Verlauf. Der finstere Joe Allerdyce scheint im Hintergrund einem teuflischen Plan zu folgen. Die vielen namentlichen und grafischen Anspielungen im Comic werden den Lesenden auffallen und Freude am Entdecken machen, oder sie finden als weniger bibelfeste LeserInnen dazu einige Hinweise im Anhang des Bandes. – Der erste Teil der Trilogie stammt von 2004, der zweite entstand etwa 15 Jahre später und beschreibt Geburt und Jugend von Catalina, die von der 14-jährigen, jungfräulichen Luciana Cortez zur Welt gebracht wird. Damit entsteht so etwas wie ein interessanter Gegenentwurf zur Figur des Jodie Christianson. Catalina scheint im Unterschied zu ihm auch gar keine Jesus-Kräfte zu besitzen. Wie soll Luciana sie also gegen Joe Allerdyces Truppen beschützen? – Im dritten Band könnte es nun zum erwartet heftigen Aufeinandertreffen zwischen Christ und Antichrist kommen. Doch zunächst entführt uns der Autor in eine Umgebung, die aus gängigen Verschwörungserzählungen entnommen zu sein scheint, mit subkutanen Chips, geheimen Untergrundgruppen, ihren abstoßend blutigen Ritualen und einem sehr unsympathischen Jodie als mysteriösen Weltführer. – Peoria liegt im Bible Belt, von dessen religiöser Zugewandtheit dieser Comic ein Gutteil abbekommen hat. (adi)

 
(Disney): Gaukeley - Das Buch der Verdammnis Gaukeley - Das Buch der Verdammnis (N.N., Egmont 2023, 88 S., HC, farbig, Cover © 2023 Story House Egmont/Disney)
Im ersten Augenblick könnte man nach dem Lesen der Beschreibung für dieses magische Buch annehmen, dass hier die Frühzeit der Hexe Gundel Gaukeley so beschrieben wird, wie Don Rosa es mit Onkel Dagoberts Jugend gemacht hat, also der Barksschen Continuity verhaftet. Doch spätestens als Gundel nach dem Frühstück bei ihrer Tante, der Großhexe Gloria, ihr Handy herausholt, um auf ihm 237 neue Nachrichten zu finden, vermutet man, dass wir uns in einer alternativen Entenhausen-Realität befinden. Aber ist das sicher? Könnte es in der Welt der Zauberschülerin Gundel, einer von magischer Energie durchdrungenen Welt, nicht auch schon eine Art Smartphonetechnik gegeben haben? In den dortigen Bibliotheken stehen schließlich Grimoires mit Zaubersprüchen für alles. Gundel hat leider die Sorgen einer Schülerin, von der (zu) viel erwartet wird. Sie besitzt (noch) keinen Raben Nimmermehr, aber ihr Freund Poe steht ihr zur Seite, selbst, als sie sich und Poe (dessen Name spielt auf Edgar Allan Poes Gedicht "Der Rabe" an) durch einen Verwandlungszauber in außerordentliche Schwierigkeiten bringt. Zur Strafe wird sie als Nachhilfelehrerin für ZauberschülerInnen eingeteilt, die noch nicht einmal eine Kerze zum Brennen bringen. Doch diese vermeintlichen Vollnieten werden sich für Gundel noch als Glücksfälle herausstellen. (adi)

 
Benjamin Flao: Auf dem Wasser 1 Auf dem Wasser 1 (Benjamin Flao, Schreiber & Leser 2023, 160 S., HC, farbig)
Diese erzählerisch und zeichnerisch aus dem Üblichen hervorstechende Graphic Novel zu einem Problem der Erderwärmung brachte der vielgelobte Benjamin Flao zu Papier. Er setzt damit seine Comicarbeiten zur kritischen Betrachtung unserer Welt fort (siehe auch "Kililana Song"), ohne den lästigen pädagogischen Zeigefinger zu heben. Schon mit 14 verließ Flao die Schule, um an der Saint-Luc in Tournai Comiczeichner zu lernen. Im nun vorliegenden Bildroman schildert er das Leben in einem überschwemmten Landstrich. In einem gelblich trüben Wasser dümpeln Abfälle, Strauchwerk, Autos und ertrunkene Tiere vor sich hin. Teile der Bevölkerung sind auf Hausboote geflüchtet. Gegen ihren Willen sollen diese Leute nun aufs Festland umgesiedelt werden. Dagegen wehrt sich auch Hans Vogel, dessen Mutter Jeanne mit seinem stummen Bruder Gorza, sowie einem gedankenlesenden, blauen Hund zufrieden und frei am Überschwemmungsgebiet leben bleiben wollen. Der Hund übernimmt im Comic die Rolle eines Erzählers und bewährt sich in brenzliger Situation sogar als Gedankenlenker. Hans' Tochter Vinea geht inzwischen als eigenwillige Punkerin ihren selbstbestimmten Weg, durch den sich dem Lesenden eine weitere rebellische Perspektive öffnet. (adi)

 
Reinhard Kleist: Cash - I see a darkness Cash - I see a darkness (Reinhard Kleist, Carlsen 2023, Neuauflage, 224 S., HC, zweifarbig)
Zum zwanzigsten Todestag des Sängers Johnny Cash (1932-2003) ist eine neue Auflage von Reinhard Kleists famoser Biografie des Country-Musikers erschienen. Sie unterscheidet sich von den bisherigen Ausgaben durch die feste Buchdecke (Hardcover), durch das größere Format (drei Zentimer breiter), durch einen Anhang mit elf ausdrucksvollen, farbigen Zeichnungen und durch das Einfärben der bisherigen Grauflächen in Oliv. Das nimmt der Grafik etwas von der Tristesse, mit der man einige Phasen in Cashs Leben beschreiben wird, insbesondere die Zeit seiner Amphetaminsucht. Kleist schafft eine atmosphärisch fesselnde Darstellung des Weges in die Sucht und aus ihr wieder hinaus. Nach dem Entzug 1967, den Kleist drastisch verbildlicht, bricht Cash 1969 mit June Carter zum berühmten Konzert im Gefängnis von St. Quentin auf, ein Höhepunkt dieser Biografie und wohl auch im Leben des Sängers. Kleist wählte aus Cashs Leben besondere Punkte aus, zum Beispiel das Verhältnis zum früh gestorbenen Bruder Jack oder Cashs Höhlenerlebnis im Nickajackcave. Andere Punkte wie etwa Cashs Verhältnis zu seiner Tochter Rosanne oder zu seinem Sohn aus der Ehe mit June musste Kleist verständlicherweise auslassen, aber dafür findet sich dann bestimmt eine Dokumentation in der arte-Mediathek. (adi)

 
Alan Moore/Brian Bolland: Batman: Killing Joke - Ein tödlicher Witz Tom Taylor/Ivan Reis/Danny Miki: Batman - One Bad Day 8: Ra's Al Ghul Batman: Killing Joke - Ein tödlicher Witz (Alan Moore/Brian Bolland, Panini 2023, 68 S., HC, farbig)
Batman - One Bad Day 8: Ra's Al Ghul (Tom Taylor/Ivan Reis/Danny Miki, Panini 2023, 76 S., HC, farbig)
Es ist nur folgerichtig, dass im selben Format der Alben der Batman-Superschurken-Reihe (zuletzt beispielsweise Clayface) nun auch diejenige richtungsweisende Erzählung erneut erscheint, die den Grund für das "One Bad Day" im Titel liefert: "The Killing Joke" bzw. "Lächeln, bitte!". In dieser vielgelobten und als Vorbild geltenden Batman-Joker-Geschichte von 1988 versucht der Joker zu beweisen, dass "ein furchtbarer Tag genügt, um den vernünftigsten Mann in den Wahnsinn zu treiben", wie es in der aktuellen Übersetzung heißt. Als Versuchsperson wählt der Joker ausgerechnet Commissioner James "Jim" Gordon, den er durch einen Angriff mit Pistole und Kamera auf dessen Tochter Barbara irre machen möchte. Es ist also zum Verrücktwerden. – Das gleichzeitig erscheinende achte Superschurken-Album handelt vom 700 Jahre alten und fanatischen Umweltaktivisten Ra's Al Ghul, dem 'Haupt des Dämons'. Seine Lazarusgruben wecken Tote wieder auf. Batman versucht Ra's al Ghuls Plan zu verhindern, all diejenigen Industriekapitäne zu töten, deren Firmen der Natur am meisten schaden. Allerdings erkennt man bereits auf dem Titelbild, dass Ra's seine Klinge gegen Batman gefährlich zu führen weiß. Es wird nun auch darauf ankommen, wie sich Batmans Ex-Freundin Talia al Ghul und ihr gemeinsamer Sohn Damian Wayne in diese spektakuläre Auseinandersetzung mit dem uralten und durchsetzungsstarken arabischen Genie einbringen können. (adi)

 
Fabien Grolleau/Jérémie Royer: Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle (Fabien Grolleau/Jérémie Royer, Knesebeck 2023, 7. Auflage, 60 S., HC, farbig)
Schon in der 7. Auflage liegt diese Graphic Novel nun in Buchhandlung und Comicladen. Der im September 2019 erstmals in Deutsch erschienene Comic zur wissenschaftlich ungemein wichtigen Reise von Charles Darwin mit der Beagle fußt auf dessen persönlichem Reisetagebuch. 1831 stach der 22-jährige Darwin in See und sagte seinen Eltern beim Abschied, er sei in zwei Jahren wieder zurück. Tatsächlich dauerte die Expedition dann fünf Jahre. Was das Buch auszeichnet, ist, dass es sich nicht in einer länglichen Faktenanreihung über Darwins unzweifelhaft bedeutenden Erkenntnissen zur Entstehung der Arten verliert, sondern genügend Raum für seine Haltung zu Sklaverei und zu seinen Erlebnissen beim Umgang mit den Eingeborenen Feuerlands lässt. Das Schicksal von Fuegia, die als Kind aus Patagonien nach England entführt wurde und nun in missionarischer Absicht zusammen mit zwei Leidensgenossen und einem Pfarrer von der Beagle dort wieder ausgesetzt wird, ging Charles Darwin offenbar besonders nahe. Zudem erwähnt das Buch den Schiffsmaler Conrad Martens, dessen Arbeit derjenigen eines Fotografen gleichkam. Mangels einer brauchbaren Fotografiertechnik griff auch Darwin damals auf die Fertigkeiten eines solch guten Zeichners zurück. (adi)

 
Stephan Hagenow: Rattenwelt 1 Rattenwelt 1 (Stephan Hagenow, Gringo 2023, 60 S., SC, farbig)
Culver wird Hooker auch nach einer gewaltigen Detonation einer menschlichen Bombe nicht los. Er zieht mit dem nasenlosen, grünverwarzten, Blut hustenden Kameraden durch eine atomar verseuchte Welt, immer noch - wie in den Vorgängerheften dieser rattenreichen Erzählserie - auf der Flucht vor mutierten Ratten mit messerscharfen Zähnen. Auch die anderen kleinen Gruppen an Outlaws, die sich seit den seligen "Schwermetall präsentiert"-Zeiten durch die verpesteten Hagenowschen "Rattenfalle"-Geschichten schlagen, sind wieder mit dabei, also Trask und Birdy, der Doc, Mac Trap, Zyklop und Rollmops. Wegen der starken radioaktiven Strahlung an der Oberfläche, schleichen einige Schicksalsgenossen auf der Suche nach Nahrung möglichst unter der Erde in der Kanalisation herum. Aber Mac Traps Gruppe versucht per Helikopter ihr Glück. Doch dafür braucht man viel Sprit. – Mit dem vorliegenden Band wird die aus sechs Heften bestehende Serie "Rattenfalle" fortgesetzt. Die grobsinnige Grafik mit ihren fetten Linien und prallen Schwarzflächen trägt ihren gut dosierten Teil zur horrenden Endzeitstimmung bei. IIIIIHHHH, irgendwann erwischen die Rattenmutanten auch dich! (adi)

 

September 2023


Bastien Vivès: Letztes Wochenende im Januar Letztes Wochenende im Januar (Bastien Vivès, Schreiber & Leser 2023, 184 S., HC, schwarzweißgrau)
Eine weitere Comic-Neuerscheinung neben derjenigen zum Comic-Syndrom nimmt Bezug auf das Internationale Comic-Festival (FIBD) in Angoulême. Bastien Vivès ("Nationalfeiertag", "Die Bluse", "Die große Odaliske") beschreibt in ausdrucksvollen, in Grautönen gefärbten und treffsicheren Zeichnungen die Erlebnisse eines Zeichners namens Denis Choupin, der für Signierstunden am Stand seines Verlags und zu einer Podiusmdiskussion nach Angoulême reist. Es sieht alles nach tristem "business as usual" aus. Er möchte auch schon Samstagabend statt Sonntag wieder abreisen. Er ist allein, sein Szenarist Thierry Cleri hat sich wegen eines Hexenschusses abgemeldet. Doch dann steht plötzlich Vanessa vor seinem Signiertisch, die sich für ihren Mann Marc Letexier eine Widmung in Denis' Comic "Opération Hitler" zeichnen lassen möchte. Es beginnt eine sich behutsam entwickelnde Beziehung zwischen Vanessa und Denis, deren Wechselfälle durch Vivès in stimmungsvolle, gut lesbare Bilder umgesetzt werden, und bei denen Marc die beiden nicht stört. Als begeisterter Comic-Fan hat Marc nur Augen und Ohren für das Festivalgeschehen. Das gibt den beiden einige ersehnte Momente der Freiheit. (adi)

 
Jul/Libon: Spirou und Fantasio Spezial 41: Spirou und das Comic-Syndrom Spirou und Fantasio Spezial 41: Spirou und das Comic-Syndrom (Jul/Libon, Carlsen 2023, 56 S., SC, farbig)
Das Jerusalem-Syndrom, über das Spirou von Professor Herquin-Frangé in einer Klinik in Angoulême aufgeklärt wird, gibt es wirklich. Auch für Paris und Florenz sind diese hoffentlich vorübergehenden psychotischen Störungen beschrieben worden, durch die man sich für eine andere Person hält. Warum sollte also nicht auch das alljährlich Ende Januar in Angoulême beim internationalen Comic-Festival stattfindende Spektakel bei einigen Personen zu einer Reizüberflutung und also einem ähnlich gearteten Syndrom führen? Der Professor ist sich jedenfalls sicher, dass es Fantasio erwischt hat. Er hält ihn in seiner weitläufigen Fachklinik fest, in der es sogar eigene Häuser für Manga- und Superhelden-Patienten gibt. Als besonders schwere Fälle gelten diejenigen, die ihre Wahnvorstellung in die Rolle von Figuren aus Fanzines und Independent-Comics treibt. Als Spirou endlich zu Fantasio vorgelassen wird, benimmt sich dieser wie Kapitän Haddock: "Hunderttausend Höllenhunde! [...] Seegurke! Strolch! Brontosaurier!" Um seinem Freund in der Klinik beistehen zu können, beschließt Spirou, sich ebenfalls als vom Comic-Syndrom betroffen einweisen zu lassen. Damit nimmt eine sehr vergnügliche Erzählung mit vielen Zitaten und ungewohnter Grafik einen psychotropen Verlauf. (adi)

 
Joe Quesada/Danny Miki: Marvel Must-Have 79: Daredevil - Father Marvel Must-Have 79: Daredevil - Father (Joe Quesada/Danny Miki, Panini 2023, 204 S., HC, farbig)
Eigentlich geht es in dieser klassischen Story von 2004 nicht nur um einen Vater, sondern gleich um drei. Im Vordergrund steht die Beziehung von Daredevil (d.i. der Rechtsanwalt Matt Murdock) zu seinem strengen Vater Battlin' Jack Murdock, der sich im Boxring durchschlug und als Geldeintreiber verdingte. Der zweite Vater ist derjenige von Daredevils vermeintlichem Gegenspieler, dem schwerreichen Unternehmer Nestor "NeRo" Rodriguez, der erleben musste, dass sein Vater Hector von Untergrundganoven erschossen wurde. NeRo engagiert sich daher mit seinen gewaltfreudigen Santerians in der privat geführten Verbrechensbekämpfung. Und dann ist da noch ein dritter Vater, um den es in dieser Erzählung geht, mit dem es Vater Murdock in Daredevils Jugend zu tun bekam. Zwei der Väter wurden ermordet, einer schwer verletzt. Ihre Nachfahren sind nun in eine Serie mysteriöser Mordfälle verwickelt, bei denen den Opfern die Augen genommen werden, wie weiland beim Sandmann von E.T.A. Hoffmann. Zu diesen Zutaten einer spannenden Geschichte, in der nur eine unpassende, länglich ausgedehnte Superheldenprügelei stört, kommt für Matt Murdock als Anwalt der Fall von Maggie Farrell, die wegen ihrer Krebserkrankung Anklage gegen einen Energieversorger führen will. Maggie macht es aufregend. (adi)

 
Jan Novák/Jaromír 99: Časlavska Čáslavská (Jan Novák/Jaromír 99, Salleck 2023, 176 S., HC, farbig)
"Okkupation bleibt Okkupation" wiederholt Věra Čáslavská standhaft. Man bedrängt sie, ihre Unterschrift unter das "Manifest der 2000 Worte" zu widerrufen, das im Juni 1968 zu weiteren Reformen in der ČSSR im Rahmen des Prager Frühlings aufruft. Das Manifest ist ein Anlass für den Einmarsch sowjetischer Truppen im August 1968 in die Tschechoslowakei. Anders als zum Beispiel der Langläufer Emil Zátopek macht Čáslavská keinen Rückzieher. Die sich daraus ergebenden Repressalien nimmt sie in Kauf. Sie hält sich an eine Verpflichtung, an die sie sich durch die Annahme eines Samurai-Schwerts in Japan gebunden fühlt. Nach ihren Olympia-Siegen als Kunstturnerin in Tokyo 1964 wurde sie dort als Tschasrawska-san verehrt. "Wenn ich das nicht unterschrieben hätte, müsste ich das Samuraischwert zurückgeben", begründet sie ihren Mut. – Kompromisslos wie sie, ohne laue Zwischentöne, ist diese Biographie grellbunt gefärbt und beschreibt damit neben ihrer politischen Haltung immer auch die Ereignisse ihres Privatlebens. Eine Liaison mit ihrem (verheirateten) Trainer Vladimír Prorok wird bald beendet. Nach ihren Olympiasiegen in Mexiko 1968 heiratet sie dort den Leichtathleten Josef Odložil. Es beginnt damit eine Zeit, in der ihr der durch den Wettkampfsport vertraute Durchhaltewillen helfen wird. (adi)

 
Aike Arndt: Der Mensch und Gott Der Mensch und Gott (Aike Arndt, Zwerchfell 2023, 80 S., SC, farbig)
Als Gott ankündigt, der Menschheit seine wahre Identität enthüllen zu wollen, halten alle die Luft an. Umgehend sind wir an die erstaunte und wütende Reaktion des Jokers erinnert, als Batman vor aller Augen die Maske vom Gesicht gerissen wird. Doch wie sieht es im bedeutungsvollen Unterschied zum Dunklen Ritter im Innern eines unendlichen, göttlichen Wesens aus, von dem also alle Hälften gleich dem Ganzen sind? Aike Arndt lässt uns Überraschendes erkennen. Aber die erfahrene Leserschaft wird wohl noch mehr von seinem Bericht überrascht sein, demzufolge der Verlag, für den er zeichnet, seine finanziellen Rücklagen in einem Speicher dagobertschen Ausmaßes lagert. Hier wäre der richtige Moment, eine Fallunterscheidung zu machen. Entweder nimmt uns der Autor auf den Arm, wie es seinem Stand als Humorist natürlich und gerne zukommt, oder der Verlag hat ihm die finanzielle Lage tatsächlich so geschildert, um ihn mit der Aussicht auf kommende Reichtümer zu ausdauernder Arbeit anzuhalten. Beleg für den am Profit orientierten, zweiten Fall ist zweifelsohne, dass der Verlag den Zeichner bereits komplett einscannen ließ. (adi)

 
Matz/Jörg Mailliet/Olivier Guez: Das Verschwinden des Josef Mengele Das Verschwinden des Josef Mengele (Matz/Jörg Mailliet/Olivier Guez, Knesebeck 2023, 192 S., HC, farbig)
Dem Kriegsverbrecher Josef Mengele, der als SS-Lagerarzt im KZ Auschwitz-Birkenau leitend an der Auswahl von Todeskandidaten, der Selektion, an der Überwachung der Vergasungen und an grausamen medizinischen Experimenten beteiligt war, gelingt 1949 die Flucht nach Buenos Aires. Eine nachdrückliche Suche nach ihm bleibt aus. Den Nazi-Seilschaften gelingt es, ihn unter dem Namen Helmut Gregor zu verstecken. Seine Familie in Günzburg unterstützt ihn über einen Mittelsmann, Hans Sedlmeier, einem alten Schulfreund, der das Netzwerk um den Fluchthelfer Hans-Ulrich Rudel für Mengele einzuspannen weiß. Mengele trifft in Buenos Aires auch Adolf Eichmann, der die Ermordung von etwa sechs Millionen Menschen mitzuverantworten hat. Als Eichmann 1960 geschnappt, später verurteilt und hingerichtet wird, versucht Mengele mit gefälschtem Pass als Peter Hochbichler in Brasilien unterzutauchen. – Für den Fall, dass LeserInnen unwillkürlich Mitleid mit dem verfolgten Menschen entwickeln könnten, stellt der Autor dieser Biographie im Epilog, in Rückblenden und in einem abgebildeten Disput zwischen Mengele und seinem Sohn Rolf 1977 in São Paulo deutlich genug heraus, welches Scheusal dieser Josef Mengele war. (adi)

 
Jamie Delano/Tom Peyer/John McCrea/Andrew Chiu: Cruel and Unusual Cruel and Unusual (Jamie Delano/Tom Peyer/John McCrea/Andrew Chiu, Dantes 2023, 108 S., SC, farbig)
Mit der Fernsehserie "Jesus in America" hat die Produzentin Bobbie Flint dem vorgeblich christlichen Sender "Salvation Channel" Erfolg gebracht. Doch nun wird sie von ihrem primitiven, grobschlächtigen Chef Marion Meach, der mit seinen Millionen dem ebenso hinterhältigen Benny Guevara den Gouverneursposten Floridas verschafft hat, gezwungen zu gehen und in der Folge aus seinem privaten Hochsicherheitsgefängnis ein einträgliches Geschäft zu machen. Bobbies Tochter Chloe will Geld von ihr und hält ihr vor, abgetrieben zu haben. Bobbie nimmt also den brutalen Job als Knast-Direktorin auf sich, der sie kurz darauf mit dem "Rattengrill", einem defekten elektrischen Stuhl bekannt macht. Sie kommt auf die kranke Idee, zur Aufdeckung der schrecklichen Zustände in Meaches Knast im "Jail TV" eine Hinrichtung mit diesem Stuhl zu übertragen. – Diese Erzählung aus einer brutalen Gefängniswelt, zu der Gewalt, sexuelle Erniedrigung, sprachliche und moralische Verrottung gehört, richtet sich an eine erwachsene Leserschaft, die sich neben den Horroreindrücken wohl auch Gründe für die Ablehnung eines privaten Strafvollzugs und der Todesstrafe mitnehmen. (adi)

 
Rudolph Perez: Commander Cork 5: Die Ferien des Commanders Commander Cork 5: Die Ferien des Commanders (Rudolph Perez, Gringo 2023, 68 S., SC, schwarzweiß)
Wie einst Major Grubert steigt hier Commander Cork aus einer Luke zu uns herüber in die erhoffte Wirklichkeit (siehe Titelbild). Moebius schickte den Major in eine reale Zufallswelt, Rudolph Perez schickt Commander Cork in eine virtuelle Urlaubswelt. Der Major musste sich damals mühsam eine Pforte ins Hier und Jetzt suchen, bei Commander Cork muss dazu lediglich der Strom ausfallen. In den vom feinsinnigen Perez'schen Humor begleiteten Urlaubsanstrengungen des Commander Cork, Administrationsadlatus in der Zentralverwaltung von Meta-Pengo, erkennen wir die Fallstricke, die eine Reise in einem günstigen, gebraucht erworbenen Urlaubsgenerator mit sich bringt. Es geht schon damit los, dass für Corks Assistentin Reena kein Platz im Generator ist und dass man umgehend Probleme mit der generierenden Software bekommt. Die Benutzerführung nervt und gefährlich ist es manchmal auch noch ("Das ist eine Schnittstelle zur Realität. Bitte nicht zu weit hinauslehnen!"). In einer Abfolge von Strips und Onepagern gewinnen die LeserInnen eine Fülle an Einsichten wie etwa, dass alle Mathelehrer unberechenbar wären oder dass man Digitalisate nicht ansprechen sollte oder dass feuchtwarme Luft lokalitätsimmanent sei. Übrigens: Ein Urlaubsspaß hört auf, wenn die Erwartung aus zu vielen Details besteht. (adi)

 
Hugo Pratt: Fort Wheeling - Erster Teil Fort Wheeling - Erster Teil (Hugo Pratt, Schreiber & Leser 2023, 136 S., HC, farbig)
Die prächtig eingefärbten Zeichnungen waren in der Hugo-Pratt-Ausstellung 2016 in Angoulême der große Hingucker. In der nun erschienenen neuen Farbausgabe von "Fort Wheeling" bilden einige davon zusammen mit erläuterndem Text die schöne und notwendige Einleitung in die Hintergründe des blutigen Geschehens in Wheeling, Ohio, im Rahmen des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs. Die Beschreibung der Auseinandersetzung zwischen Siedlern, Shawnee, Lenni Lenape, Mingo und amerikanischen und britischen Soldaten fußt auf historischen Begebenheiten, nämlich den Belagerungen rund um Fort Henry 1777 und 1782, die Comichandlung setzt 1774 ein, dem Jahr des Yellow-Creek-Massakers. Der Comic gehört zu den frühen langen Arbeiten Hugo Pratts. Die Erzählung von den beiden 17-jährigen Soldaten Criss Kenton und Patrick Fitzgerald, der eine für die Unabhängigkeit von den Briten, der andere königstreu, kam zuerst 1962 in einem argentinischen Comicmagazin heraus, also noch bevor 1967 das erste Corto-Maltese-Abenteuer veröffentlicht wurde. Während am Schicksal dieser beiden jungen Männer der Irrsinn der Kriege verdeutlicht wird, liefert die Hinzunahme weiterer historischer Figuren wie dem Mingo-Häuptling Logan, dem Shawnee-Anführer Cornstalk, dem weißen Indianer Simon Girty (dessen Konterfei an Pratt erinnert), dem Pionier Ebenezer Zane, der überaus mutigen Elizabeth "Betty" Zane, dem Jäger Daniel Boone das authentisch wirkende Ambiente, in dem den beiden jungen Soldaten auch Platz für eine Liebe zur schönen Mohena eingeräumt wird. (adi)

 
Collin Kelly/Jackson Lanzing/Xermánico: Batman - One Bad Day 7: Clayface Batman - One Bad Day 7: Clayface (Collin Kelly/Jackson Lanzing/Xermánico, Panini 2023, 56 S., HC, farbig)
Diesen Monat sorgt der lehmige Gestaltwandler Clayface (d.i. Basil Karlo) für die grafisch überzeugende und eingängige Superschurkenlektüre. Das Titelbild liefert mit seiner rötlich und ockerfarbenen, lehmigen Gestaltung die stimmige Atmosphäre. Schon der Batman-Schöpfer Bill Finger führte Clayface laut der Batman Wiki vor über 80 Jahren als einen "abgehalfterten" Filmstar ein, der sich an die Ermordung der Mitglieder einer Filmcrew macht, als sich diese an seinem größten Erfolg vergreifen will. Clayface zeigte nicht zuletzt in der Harley-Quinn-Fernsehserie seine große Zuneigung zum Schauspielberuf. Darum geht nun auch hier. Er übt für ein Vorsprechen zu einem Film. Er hat sich das Aussehehen eines blonden Jünglings zugelegt und versucht sich in einer tragischen Szene. Aber ihm schlägt beim Casting Ablehnung entgegen. Seine Korrekturen am Skript will man nicht. Und was Clays Blut, beziehungsweise Schlamm, besonders zum Kochen bringt, ist, dass sein dunkelhaariger Kumpel Corey, ein Komödiant, die Rolle erhält. Als Gestaltwandler, der weitaus mehr an sich verändern kann als Ethan Hunt, überkommt ihn seine Superschurkennatur. Clay räumt alle Hindernisse auf seinem Weg zu einer erhofften großen Rolle im Film aus dem Weg. Damit folgt er der todbringenden Charakterschwäche, die ihm Bill Finger 1940 auf den Leib schrieb. (adi)

 
Junji Ito: Tomb Town - Der steinerne TodJunji Ito: Frankenstein - Storys zwischen Wahn & Wirklichkeit Tomb Town - Der steinerne Tod (Junji Itō, Carlsen 2023, 418 S., HC, schwarzweiß)
Frankenstein - Storys zwischen Wahn & Wirklichkeit (Junji Itō, Carlsen 2023, 418 S., HC, schwarzweiß)
Die Buchreihe aus dunkel eingebundenen Bänden voller Horrorgeschichten vom Gruselmeister Junji Itō, zu der unter anderen auch "Remina" gehört, besteht in diesen beiden Fällen aus Sammelbänden mit je elf Geschichten verschiedenen Umfangs. Das könnte einen auf den Gedanken bringen, es handele sich um Geschichten wie aus den Gruselheften, die ab Mitte der 1970er Jahre mit jeweils vier bis fünf Beiträgen pro Heft am Kiosk lagen ("Seltsam? Aber so steht es geschrieben..."). Aber bei Itō läuft der Grusel deutlich anders. Zum einen erhalten wir hier schwarzweißen Manga, dessen einzelne Erzählungen weit mehr als die damals typischen vier bis acht Seiten lang sind und in denen oft SchülerInnen oder jungen Menschen die Hauptrolle zukommt, und zum anderen strebt Itō mit seinen Horrorberichten nicht immer einer Schlusspointe zu. Zwar drückt da wohl mal überraschend ein Hals den zugehörigen Kopf durchs Gemäuer, aber in der Regel bleibt das schauerliche Ende ohne Schlusseffekt als bleibender Eindruck im Kopf der LeserInnen stehen. – In der ersten, titelgebenden Story "Tomb Town" kommt ein junges Paar mit dem Auto in einen Ort, in dem den Verstorbenen ein Grabstein grundsätzlich genau an der Stelle gesetzt wird, wo sie verstarben. Das kann dann auch mal mitten auf der Straße sein. Zwar rammen die beiden keinen dieser Steine, aber leider Ayumi. Beeindruckend gerät im selben Band auch "Das Blut von Shirasunamura", eine medizinisch rätselhafte Geschichte, in der Dr. Furuhata als neuer Arzt in ein Dorf kommt, deren Bewohner in blutiger Verbindung mit dem dortigen Erdboden stehen. – Der Band "Frankenstein" beginnt mit mehreren Erzählungen zu den Parallelwelt-Erlebnissen des Schülers Oshikiri, bevor man dann bei einer über 80 Seiten langen Adaption des Frankstein-Buchs von Mary Shelley anlangt. Itō hält sich anfangs, von den Verfilmungen beeinflusst, recht eng an die Romanvorlage, bis seine Fantasie dann doch Oberwasser bekommt und er die Ereignisse um den Bau der Monsterfrau in ganz eigener Weise umdichtet. Doch beim Thema Frankenstein erwartet man so etwas ja auch. (adi)

 

August 2023


Stephanie Phillips/Riley Rosmo: Harley Quinn 3: Harley, das UnschuldslammStephanie Phillips/Georges Duarte/Simone Buonfantino: Harley Quinn 4: Task Force XX Harley Quinn 3: Harley, das Unschuldslamm (Stephanie Phillips/Riley Rosmo, Panini 2023, 132 S., SC, farbig)
Harley Quinn 4: Task Force XX (Stephanie Phillips/Georges Duarte/Simone Buonfantino, Panini 2023, 156 S., SC, farbig)
Zunächst landet Harley Quinn vermutlich ganz unschuldig in der Strafanstalt Blackgate, aus dem sie von Kate Kane als Batwoman (nicht zu verwechseln mit Catwoman) herausgeholt wird, weil diese von Harleys Unschuld überzeugt ist. Die Harley vorgeworfenen gruseligen Morde ordnet Batwoman ihr auch charakterlich nicht zu. Gezeichnet mit dem wunderbar ausufernden Stil von Riley Rossmo, der das exaltierte Verhalten der clownesken Psychiaterin widerspiegelt, werden die LeserInnen Zeuge einer Rehabilitierung, an deren Verlauf Harleys fürsorglicher Freund Kevin und dessen Freundin Samantha Payne auf unterschiedlichen Seiten beteiligt sind. Die anfangs argwöhnische, junge Polizistin Jaylin Shaw komplettiert das rein weibliche Aufklärungsteam, mit dem man einer Rächerin auf die Spur kommt, welche von Harley Verdict getauft wird. – Und ausgerechnet auf diese Verdict stößt Harley, als sie von Luke Fox (ehemals Batwing) für viel Geld zur Mitarbeit in einem schlagkräftigen Team angeheuert wird (obwohl sie Gruppenarbeit eigentlich hasst). Mit Killer Frost (d.i. Caitlin Snow), Bronze Tiger (d.i. Ben Turner), Verdict und vier anderen soll sie gemeinsam in die JLA-Station auf dem Mond fliegen, um das gefährlich werdende Element-X zu vernichten. Doch Harley interessiert sich erst einmal nur für Knoblauch-Grisinis und wundert sich im lunaren JLA-Gebäude über fehlende Toiletten und Generatoren. Aber als das Assimilieren beginnt, fällt ihr nur noch eines ein: "Lauft!" (adi)

 
Olaf Brill/Michael Vogt: Der kleine Perry 1 Der kleine Perry 1: Das Geheimnis des Wanderplaneten (Olaf Brill/Michael Vogt, Carlsen 2023, 96 S., HC, farbig)
Gerne erinnert man sich an den Flug der Stardust zum Mond. Das geschah 1971. An Bord waren Perry Rhodan, Reginald "Bully" Bull und auch Dr. Eric Manoli, der später den Arkoniden Crest gegen Leukämie zu behandeln wusste. Die fruchtbare arkonidisch-terranische Zusammenarbeit begann. Nur Thora blieb zunächst skeptisch. – Auch wenn sich die nun vorliegende neue Perry Rhodan-Reihe an ein junges Publikum richtet und die originale Geschichte in dieser Absicht gut angemessen umgeschrieben wurde, so ist auch für die ältere Leserschaft die Lektüre reizvoll, sei es durch das Wiedererkennen der Figuren und Motive, sei es durch die Neugier darauf, wie der Autor die originale Handlung übertragen und erweitert hat. Perry und Thora treffen nämlich als Kinder aufeinander, mit dem Mausbiber Gucky an Perrys Seite. Crest ist Thoras Onkel und Perrys Mutter ist die Konstrukteurin der Stardust. Es geht es hier auch nicht um die politische Lage, die in den Romanen zur Einrichtung von Rhodans Dritter Macht führte, sondern man stellt schließlich den Zwergplaneten Ceres in den Mittelpunkt der Handlung, der schon im Titel als "Wanderplanet" angekündigt wird (im Original Wanderer). Und zum Schluss bringt ihnen die Superintelligenz ES keinen Zellaktivator, aber so ähnlich. (adi)

 
Matthew Rosenberg/Carmine Di Giandomenico/Francesco Franvacilla: Der Joker - Der Mann, der nicht mehr lacht 1 Der Joker - Der Mann, der nicht mehr lacht 1: Ein Joker zu viel! (Matthew Rosenberg/Carmine Di Giandomenico/Francesco Franvacilla, Panini 2023, 180 S., SC, farbig)
Der echte Joker überlebt. Er hat eine Kugel im Kopf und ist wie gewohnt übelst kriminell, aber er lacht dabei nun nicht mehr. Denn ein anderer Superschurke hat seine Identität angenommen. Dieser Fake-Joker beginnt in seinem Namen, die Szene zu beherrschen und die Macht sogar über Gotham City hinaus anzustreben. Two-Face (d.i. Harvey Dent), Riddler (d.i. Edward Nygma), Black Mask (d.i. Roman Sionis) begrüßen zwar, dass dieser Joker in der Unterwelt aufräumt, aber so richtig froh ist man nicht. Es sind ein bis zwei Joker zu viel. Derweil treibt Red Hood II (d.i. Jason Todd) seine gnadenlos blutige Detektivarbeit in der sich wandelnden Schurkenszene. Um mitzumischen muss der Joker erst einmal die Kugel aus seinem Kopf herausholen lassen. Er landet nach einer Menge Prügel auf Harley Quinns "Jacht" und einem Sturz von Bord sowieso im Krankenhaus. – Nach der ersten Erzählung des Buches wechselt die Grafik und Stimmung hin zu einer Folge von fünf humorvollen Kurzgeschichten. Da kann der Joker aber auch nicht mehr lachen, zum Beispiel als er nach einem einseitig liebestollen Zusammentreffen mit Zatanna schwanger wird. (adi)

 
Colin Lorimer: Daisy Daisy (Colin Lorimer, Cross Cult 2023, 128 S., HC, farbig)
Die Ex-Polizistin Lindsay Taylor sucht ihren seit fünf Jahren verschwundenen Sohn Conor. Die Suche führt sie in den kleinen Ort Brimount, wo der Sheriff von ihr darüber informiert wird, warum sie ihre Suche ausgerechnet in Brimount fortsetzt. Sie bekam von dort einen Anruf, der zu einem Telefonanschluss von Mark Phillips führt. Ein Blick in die Augen des Sheriffs lässt schon ahnen, dass da nun etwas Unheimliches passieren wird, auch wenn er die Familie Phillips als "gute Leute" beschreibt. Mark Phillips' gebrechliche Tochter Daisy ist über zwei Meter hoch. Sie ist gerade von Kindern umgeben, die mit ihr in der Bibelstunde aus einem Henochbuch lesen, einer apokryphen Schrift, die unter anderem von der Nachkommenschaft der Verbindung von Engeln und Menschen handelt. Die damals gezeugten Kinder, die Nephilim, wurden Riesen mit enormem Nahrungsbedarf, was in einem blutigen Desaster endete. Da zieht der Sheriff die Pistole und schießt... – Die apokalyptischen Zustände, die das Henochbuch beschreibt, auf das sich diese Erzählung bezieht, bilden eine Steilvorlage für einen Horrorcomic, der auf Vorstellungen vom göttlichem Jenseits und irdischem Diesseits, auf Auferstehung und Entrückung, auf Kannibalismus und Zombiegetier zugreift. Und es geht um eine verloren gegangene Sprache, die "allem Leben einhaucht", womit auf die henochische Sprache angespielt wird (siehe auch Conors henochische Tattoos), durch die die Engel laut ihrem Erfinder John Dee (1527-1608) mit Gott kommunizieren. Daisy kann das auch. (adi)

 
Cy.: Radium Girls Radium Girls (Cy., Carlsen 2022, 136 S., HC, farbig)
"Lip - Dip - Paint" heißt es 1918 in Orange, New Jersey, für die Ziffernblattmalerinnen, die mit Undark, einer radiumhaltigen Leuchtfarbe, Ziffern und Zeiger von Uhren zu bestreichen haben. Grace Fryer erklärt ihrer neuen Kollegin Edna Bolz, wie das gemacht werden soll. Um die Pinselhaare zu einer feinen Spitze zu formen, nehmen die Arbeiterinnen die Kamelhaarpinsel zwischen die Lippen, obwohl noch Radiumfarbe an ihnen klebt. Die Folgen sind verheerend, wie die Autorin Cy (d.i. Cyrielle Evrard) in dieser Graphic Novel beschreibt. Radium-226 ist ein Alphastrahler und man mag zwar aus dem Physikunterricht wissen, dass schon eine Pappscheibe Alphateilchen großteils aufhalten kann, von außen kommen die Teilchen also kaum durch unsere Haut, aber wenn alphastrahlendes Material eingeatmet oder wie hier durch den Mund aufgenommen wird, dann schädigen die abgestrahlten Teilchen die umgebenden lebenden Zellen stark. Viele Radium Girls sterben. – Mit Grace Fryer wählt Cy für ihren Comic eine Protagonistin, die damals vor Gericht gegen ihren Arbeitgeber vorgegangen ist. Dieser wird von der Gefährlichkeit des Radiums wohl gewusst haben. – Cy zeichnete diese Graphic Novel mit lediglich acht Buntstiften, in mehreren Schichten übereinander, wie sie im Anhang des Buches vermerkt. Das gibt der bedrückenden Geschichte ein Aussehen, das an die Zeit der eher unbeschwerten Zwanzigerjahre erinnert. (adi)

 
Grant Morrison/Andy Kubert/Jesse Delperdang: Batmans Sohn Batmans Sohn (Grant Morrison/Andy Kubert/Jesse Delperdang, Panini 2023, 212 S., SC, farbig)
Der fürsorgliche Alfred Pennyworth unterstützt die Idee von Commissioner Gordon, Batman solle Gotham öfter einmal hinter sich lassen und entspannen. Alfred und auch Adoptivsohn Tim Drake (d.i. Robin) raten Batman, als Bruce Wayne wieder einmal unter die feinen Leute und Ladys zu gehen und den Milliardär und Playboy raushängen zu lassen. Bruce willigt ein, an der karikativen Veranstaltung "Aktion für Afrika" in London teilzunehmen. Dort trifft er auf das Ex-Supermodel Jezebel Jet, die nun als Staatschefin von Mtamba Spenden sammelt. Ein Hingucker sind die Roy-Lichtenstein-Bilder an den Wänden des Festraums. Doch damit ist es mit dem Vergnüglichen auch schon vorbei. Erst taucht eine große Anzahl von Ninja-Man-Bats auf und dann auch noch Talia al Ghul, die ihm ihren und seinen Sohn Damian vorstellt. Batman hat nun also einen leiblichen Sohn, von dem er bisher nichts wusste. Und an dem kann man sich Hände und Füße wärmen. – Dieses Buch enthält außer der eigentlichen Geschichte von Batmans Sohn noch drei weitere Beiträge von Grant Morrison. Die illustrierte Erzählung "Der Clown um Mitternacht" lässt sich überspringen, es sei denn man hat an geschwurbelten Phrasen wie 'Gotham City, wo der schmierige Elektromagnetismus menschlicher Bedürfnisse Hoffnung und Furcht in eine neue Januarnacht strahlt' seine (un)heimliche Freude. In den anderen Stories geht es dann wiederum um Batmans Söhne, der eine eifersüchtig, der andere in künstlicher Gebärmutter. (adi)

 
Joshua Williamson/Howard Porter/Tomeu Morey: Batman One Bad Day 6: Bane Batman - One Bad Day 6: Bane (Joshua Williamson/Howard Porter/Tomeu Morey, Panini 2023, 76 S., HC, farbig)
Bane nimmt unter den Gegnern Batmans eine Sonderstellung ein. Als "The Man who Broke the Bat" konnte er einen historischen Zweikampf gewinnen und Batman tatsächlich außer Gefecht setzen. Das hässliche Geräusch, als Batmans Rücken brach, hören wir noch heute, KRAKT. Das ist Jahre her. Mit Schaukämpfen, die seinen Sieg nachstellen, verdient Bane nun sein Geld. Doch dann taucht Venom wieder auf. Das ist hier natürlich nicht Spider-Man-Erzfeind Eddie Brock, sondern das gleichnamige Super-Steroid, erschaffen von Dr. Randolph Porter, das die physischen Kräfte der Anwender dieser gefährlichen Droge vervielfacht. Als Bane erfährt, wo wieder Venom in Umlauf gebracht wird, bricht er sofort auf, um das fortzusetzen, was er einst mit Batman zusammen energisch vorangetrieben hat: diese Droge muss überall vernichtet werden. – Die gut erzählte Geschichte weist auch grafisch einige Besonderheiten auf. Beispielsweise bringt Howard Porter auf einer Doppelseite 32 Panel so unter, dass sich gleichende Abläufe aus Erinnerung und Gegenwart gegenüberstehen. Ein anderes Mal beschreiben Folgen von kleinen bis winzigen Panels wie ein Kampf zwischen Randolph Porter und Bane abläuft, als sei es gar nicht nötig, das in großen Bildern wiederzugeben, da man das schon oft genug gesehen hat. Gut, das stimmt. (adi)

 
Lisa Frühbeis: Der Zeitraum Der Zeitraum (Lisa Frühbeis, Carlsen 2023, 144 S., HC, schwarzweiß und farbig)
Ihr Onkel hat ihr sein Ferien-Tiny-House zur Verfügung gestellt. Es steht in aller Abgeschiedenheit auf einer Insel. Dort hofft sie, einige Zeit mit ihren beiden Kindern unterzukommen und gleichzeitig Zeit für die Komposition eines wichtigen musikalischen Wettbewerbsbeitrags zu finden. Ihr kleiner Junge hat jedoch immer wieder anstrengende Einfälle und kommt auch noch nicht alleine mit dem Klo klar. Ihre ältere Tochter pubertiert und hilft ihr also eher widerwillig. Der Vater ihrer Kinder kümmert sich nur um seine neue Familie, unterstützt sie nicht, verlangt von ihr aber die Herausgabe einer Nichtigkeit. Auch ihre Mutter ruft nur an, um Erwartungen an sie bezüglich Kindern und Beruf zu äußern. Es ist für sie zum In-die-Luft-Gehen. – Lisa Frühbeis beschreibt die Situation alleinerziehender Elternteile, die sich außer für ihre Kinder einzusetzen auch noch auf ein eigenes berufliches Ziel hinarbeiten. Der übermächtige Wunsch nach einem Raum, in dem man die gewünschte Zeit und Ruhe findet, verwirklicht sich hier durch ein traumhaftes Gebilde, einem erholsamen Zwischenreich, das man durch einen Spalt betritt und inspiriert wieder verlässt. Ob ihr ein solcher Zeitraum helfen kann, ob es sie inmitten all der Anforderungen und Wünsche zerreißt, das lässt die Autorin in ihren Bildern klar erkennen. (adi)

 
Sean Todd/Dan Adkins/Jack Abel et al.: Frankenstein Frankenstein (Sean Todd/Dan Adkins/Jack Abel et al., ilovecomics 2023, 64 S., SC, schwarzweiß)
Sean Todd (1937-2002) textete und zeichnete 1971/72 unter der Überschrift "Frankenstein, Book II" vier Episoden für "Psycho" (Skywald Publishing 1971), die in diesem Album ins Deutsche übersetzt zu finden sind. Es schließen sich zwei Fortsetzungen der Story von anderen Autoren an, die damals in "Nightmare" #13 und "Scream" #6 erschienen. Da der deutsche Verlag Informationen zur Herkunft der Comics und zu den Autoren schuldig bleibt, was einer solchen Sammlerausgabe eigentlich gut zu Gesicht stünde, wird man sich in der Grand Comic Database (GCD) selbst nach den Quellen und Zeichnern umsehen müssen. Dabei ist nützlich zu wissen, dass 'Sean Todd' einer mehrerer Künstlernamen von Tom Sutton ist. – Inhaltlich schließen diese sechs Beiträge über das Schicksal von Frankensteins Monster an den Schluss der Erzählung von Mary Shelley an. Dort verschwand das Monster in den Weiten der Arktis, nachdem es an dessen Totenbett Abschied von Victor Frankenstein, seinem Schöpfer, genommen hatte. Hier nun in dieser Fortsetzung entdeckt das Monster den tiefgefrorenen Victor und lässt ihn ein ähnliches Schicksal als elektrisch Belebter zukommen, wie er es selbst im Umgang mit den erschreckenden Mitmenschen durchstehen musste. (adi)

 
Gene Luen Yang: American Born Chinese American Born Chinese (Gene Luen Yang, Cross Cult 2023, 240 S., HC, farbig)
Anfangs laufen in diesem Comic drei Erzählungen wie von ungefähr nebeneinander her. Aber dabei bleibt es (natürlich) nicht. Zum einen bezieht sich der Autor auf die alte chinesische Legende vom Affenkönig Sun Wukong, jemand der mehr zu sein vorgibt und beansprucht als er ist ("Sie mögen ja ein König sein... vielleicht sogar eine Gottheit. Aber Sie bleiben dennoch ein Affe"). Zum anderen wird von Ching-Ki erzählt, einer Figur, die alle gängigen Chinesen-Klischees bedient ("Konfuzius sagt: 'Faulel Hund gibt guten Eintopf' "). Ching-Ki glänzt in der amerikanischen Schule mit seinem Wissen. (Dass er dabei die Ungleichung R² > 6R mit "L ≤ 0 odel L ≥ 6" nicht korrekt löst, selbst bei L = R, bleibt wohl unbemerkt.) Das Verhalten von Ching-Ki ist seinem Cousin Danny sehr peinlich, der seine Chancen bei Melanie durch den chinesischen Verwandten schwinden sieht. Der dritte Erzählweg führt zu den Erlebnissen und Eindrücken von Jin Wang ("Ich... wäre gern ein... Transformer!"), der sich in das US-amerikanische Schulleben einfinden muss. – Das handlich quadratische Format dieses zu Recht preisgekrönten Buches wird der Arbeit von Gene Yang deutlich besser gerecht, als es das unangemessene Hochkantformat der englischen Taschenbuchausgabe leistet. (adi)

 
Doug Moench/Chuck Dixon/Alan Grant/Klaus Janson: Batman/Spawn: Dämonenfluch Batman/Spawn: Dämonenfluch (Doug Moench/Chuck Dixon/Alan Grant/Klaus Janson, Panini 2023, 60 S., HC, farbig)
Es erschien 1994 neben Frank Millers Nacht über Manhattan noch eine zweite Story, in der sich Batman und Spawn begegnen. Dass diese nicht von Todd McFarlane sondern von Klaus Janson gezeichnet wurde, erkennt man sofort: an die Stelle der feinen, spielerischen Striche tritt die dicke, kantige Kontur. Das muss nicht heißen, dass dieserart grafischer Gestaltung nicht zum Sujet passt. Als Erzählgrund haben sich hier die Autoren eine nordamerikanische Legende zur Vorlage genommen. Derzufolge wurde 1587 in der Kolonie Roanoke Island das erste englische Kind auf amerikanischem Boden geboren, Virginia Dare. Diese Kolonie und damit auch das Mädchen gingen durch ungeklärte Ursache "verloren". 1590 fand man von den gut hundert Siedlern keine Spur mehr, nur die rätselhafte Inschrift CROATOAN. – Unter genau der gleichen Inschrift liegt der tote Virgil Dare im Keller des Gotham Towers. Dieses Gebäude wurde vom ermordeten Simon Vesper geschaffen. Batman sucht seit sechs Jahren nach dem Mörder, wozu ihm Spawn (d.i. Al Simmons) ganz sicher etwas sagen könnte. Spawn glaubt zunächst in Batman einen Dämon vor sich zu haben, aber das klärt sich schnell und schon bald ziehen beide an einem Strang, um Gotham vor der Hölle zu retten. Diese Spawn/Batman-Story reicht in ihrem erzählerischen Tiefgang an diejenige von Frank Miller bei Weitem nicht heran. (adi)

 
David Mack/Jimmy Palmiotti/Joe Quesada: Marvel Must-Have 77: Daredevil & Echo Marvel Must-Have 77: Daredevil & Echo (David Mack/Jimmy Palmiotti/Joe Quesada, Panini 2023, 188 S., HC, farbig)
Wir befinden uns an der Stelle der 1998 begonnenen Daredevil-Erzählung, an der der blinde Anwalt Matt Murdock (d.i. Daredevil) mit seinem Freund und Anwaltskollegen Franklin "Foggy" Nelson eine eigene Anwaltskanzlei gründet, nachdem sie diejenige von Foggys Mutter verlassen haben. Das nötige Geld für diesen Schritt zahlt die Lebensversicherung von Karen Page, Matts Ex-Freundin, die in Heft 5 im Kampf mit Bullseye in einer Kirche den Tod fand. Derjenige, der dabei als ewiger Gegener von Daredevil im Hintergrund die Strippen zog, Wilson Fisk (d.i. Kingpin), setzt nun die gehörlose Maya Lopez (d.i. Echo) auf Daredevil an. Ihr wird glauben gemacht, dass Daredevil ihren Vater William Lincoln (d.i. Crazy Horse) erschossen habe. Ganz ohne Kirchenräume und ohne Zauberei von Doc Strange geschieht in diesem Buch eine Auseinandersetzung mit Kingpin, bei dem sich Echo und Daredevil in mehrerlei Hinsicht nah kommen. – Schon die Textspirale und die ersten Seiten der Einführung in die Story oder die als Puzzleteile gestalteten Panel zeigen beachtliche grafische Ideen und zeichnerisches Können, die das Label "Must-Have" im Namen der Comicreihe rechtfertigen. Zudem scheint auf vielen Seiten die malerische Kunst des David Mack ("Kabuki") durch, auch wenn Mack im Vorwort berichtet, dass das alles Joe Quesada zu verdanken sei. Die Cover sind jedenfalls typisch Mack. (adi)

 
Julian Voloj/Erez Zadok: Bill Finger Bill Finger - Der wahre Schöpfer des Dunklen Ritters (Julian Voloj/Erez Zadok, Carlsen 2023, 136 S., HC, farbig)
Als Szenarist für biographischen Comic machte Julian Voloj schon bei den im letzten Jahr erschienenen Titeln zu Bobby Fischer und Marlene Dietrich von sich reden. Auch in dieser neuen Graphic Novel über den höchst kreativen Batman-Autoren Milton "Bill" Finger (1914-1974) kleidet er den biographischen Erzählgegenstand geschickt und immer verständlich bleibend in eine Rahmenhandlung ein. Dazu zieht er die Erlebnisse und Ergebnisse heran, welche auf Marc Tyler Nobleman bei seiner Recherche zu Fingers Vita und Verwandtschaft zukamen. Am Anfang und Ende des Buches geht es um Athena Finger, der Enkelin von Bill Finger, ihren Vater Frederic und um Bruce Wayne. Nobleman kommt der Verdienst zu, dass durch seine Beharrlichkeit die Leistungen von Finger für die Schaffung von "Batman" 1939 samt der Ursprungsgeschichte, der Bat-Höhle, dem Batmobil, Alfred Pennyworth, Jim Gordon und den vielen Superschurken (Joker, Catwoman, Two-Face, Pinguin, Riddler, Clayface usw.) nunmehr endlich gewürdigt werden. Athena Finger konnte dank Noblemans ausdauernder Recherche bei DC erreichen, dass nicht mehr nur Bob Kane als Schöpfer von "Batman", sondern auch ihr Großvater bei allen Batman-Veröffentlichungen genannt wird. Bob Kane hatte die Nennung des Namens seines Mitarbeiters immer vermieden. (adi)

 
Mac Smith: Scurry 1 Scurry 1: Die todgeweihte Kolonie (Mac Smith, Cross Cult 2023, 96 S., HC, farbig)
Die rote Maus Wix und ihr Rattenfreund Urf kundschaften verzweifelt die nähere Umgebung ihres Hauses auf der Suche nach Essbarem aus. Die Nahrungsreserven in ihrer Kolonie gehen nämlich dem Ende zu, nachdem die Menschen das Haus verlassen haben. Die Futterkundschafter haben Katzen, Mausefallen, Gift, Greifvögel und leider auch Verrat zu fürchten, denn nicht alle Mitbewohner der Kolonie sind der Ansicht, man solle weiter im Haus bleiben und auf eine Verbesserung der Versorgung hoffen. Der erfahrene Mäuserich Orim und seine junge Tochter Pict bemühen sich, die Kolonie zusammenzuhalten, um auch den Schwachen eine Überlebenschance zu erhalten. Man berät. Der unerschrockene Wix nimmt daraufhin einen neuen, gefährlichen Suchauftrag an. Es wird eng. Wix trifft nahe des Waldes auf eine weitere Bestie, die grollend die Zähne fletscht. – Dieser Comic entstand als Webcomic. Laut der zugehörigen Website scurrycomic.com ging es im Januar 2016 los. Zur Veröffentlichung in Papierform half Mac Smith ein Crowdfunding, bei dem laut Kickstarter-Site sechsstellige Dollarbeträge zusammenkamen. Die ersten drei Kapitel dieser langen Erzählung, die man als Parabel auf menschliches Zusammenleben in Krisenzeiten lesen kann, sind nun in diesem ersten Band versammelt. (adi)

 
Masaaki Ninomiya: Gannibal 1 Gannibal 1 (Masaaki Ninomiya, Carlsen 2023, 224 S., Tb., schwarzweiß)
Was für einen Horror muss der frisch eingetroffene Polizist Daigo Agawa mit seiner Familie durchstehen, als er in dem abgelegenen Dorf Kuge seinen Dienst antritt! Der Titel "Gannibal" dieser Mangaserie lässt erahnen, dass der Polizist es mit Kannibalen zu tun bekommt. Oder ist doch ein Bär am Tod von Großmutter Goto und am seltsamen Verschwinden seines Vorgängers, des Polizisten Osamu Kano, schuld? Immerhin entdeckt er im Magen des erlegten Bären eine Brille. Und er findet einen Finger. Und er sieht seltsame Bissspuren am Arm der getöteten Großmutter. Vielleicht sollte man die Aufforderung, die Osamu seinem Nachfolger eingeritzt in einem Pfosten hinterließ, doch ernst nehmen: "Lauf weg!" Daigo zögert. Unvermittelt taucht Sumire Kano auf, die Tochter von Osamu. Auch sie weist darauf hin, dass es bei der Familie Goto nicht mit rechten Dingen zugeht. – Dieser überaus spannende Thriller-Manga wird unter dem Label "Hayabusa" (d.i. Wanderfalke) verlegt, mit dem man sich seit dem Frühjahr 2021 an eine ältere Leserschaft richtet. Außer Boys-Love- und queere Geschichten erscheinen dort auch Titel wie "The Vote", die uns aus dem Alltag in eine bedrohliche Umgebung führen. So ziehen sich dann auch über Yuki und der kleinen Mashiro Agawa, der Familie des neuen Dorfpolizisten, schon bald dunkle Wolken zusammen. (adi)

 
Tee Franklin/Shae Beagle/Jon Mikel: Harley Quinn: Die Bat-Legion Harley Quinn: Die Bat-Legion (Tee Franklin/Shae Beagle/Jon Mikel, Panini 2023, 148 S., SC, farbig)
Die populäre (Ex-)Superschurkin Harley Quinn (d.i. Dr. Harleen Qunizel) nun in einer neuen Erscheinungsform: ein Teil der Entwicklung ihrer Liebe zu Poison Ivy (d.i. Pamela Isley) wird aus der Harley-Quinn-Cartoonserie in eine (abgeschlossene) Comic-Geschichte übertragen. Das zentrale Problem, um das sich die Geschichte dabei kümmert, ist ein wechselseitiges Verschweigen von verborgenem Tun. Die Pflanze Frank bringt das auf den Punkt: "Das wird ja immer besser. Ivy verheimlicht Harley etwas, Harley verheimlicht Ivy etwas. - Genau wie in den Soaps, die ich immer schaue". Ivy soll im Auftrag von Lex Luthor die Superschurkentruppe Legion of Doom neu bilden und führen. Nach Harleys lautstarker Feststellung "Männer sind Schweine!" kommt ihr die Idee einer "Ladies of Doom"-Truppe, wofür sie eine Reihe interessanter Personen rekrutiert. – Ivy soll nicht erfahren, dass Harley heimlich bei der Gegenseite trainiert, bei der Batman-Truppe um Nightwing (d.i. Dick Grayson) und Batgirl (d.i. Barbara Gordon). Batman selbst sitzt gerade im Knast und kann also in die Auseinandersetzung mit dem kriminellen Black Mask (d.i. Roman Sionis) nicht eingreifen, der die Kontrolle über Gotham City übernehmen will. – Der cartooneske Zeichenstil, der zu dieser Erzählung gut passt, wird bei dem Wechsel von Shae Beagle zu Jon Mikel aufgegeben. Dadurch verliert Harley äußerlich etwas an ihrer Verschrobenheit, aber natürlich nicht an ihrer Liebe zu Ivy. (adi)

 
Gary Whitta/Darick Robertson: Batman - Die Festung Batman - Die Festung (Gary Whitta/Darick Robertson, Panini 2023, 212 S., SC, farbig)
Der Strom fällt aus. Nicht nur in Gotham City, auch in London, Metropolis, Paris und vielen anderen Städten gehen nahezu gleichzeitig die Lichter aus. Batman vermutet einen Angriff auf den ganzen Planeten. Jim Gordon lässt zum Betrieb des Bat-Signals Autobatterien zusammentragen. Er ruft Batman, da wegen des fehlenden Stroms Superschurken aus dem Arkham Asylum ausbrechen konnten. Batman wundert sich, dass Superman in dieser katastrophalen Situation nicht eingreift. Der scheint wie vom Erdboden verschluckt. Auch Jessica Cruz (d.i. die Green Lantern im Sektor 2814) bleibt untätig, so dass Batman "nur" mit den übrigen KollegInnen von der Justice League gegen den mysteriösen Gegner antritt. Es endet schlimm. Den Cyborg Victor Stone zerlegt es sogar. Batman und der amerikanische Präsident Lex Luthor müssen sich einen anderen Weg einfallen lassen. Sie hoffen auf Hilfen aus Supermans Festung der Einsamkeit. Für ein Eindringen in diese Festung werden Aqualad (d.i. Jackson Hyde) und Red Arrow (d.i. Emiko Queen) rekrutiert. Auch D'ayl, der äußerlich an einen Mausbiber Gucky in Grün erinnert, unterstützt das Unternehmen. – Zur Lektüre dieser ereignisreichen Geschichte aus einem alternativen DC-Universum ist es nicht nötig, mit den auftauchenden Vornamen Diana, Arthur, Selina, Barry, J'onn, Carter den jeweiligen Superhelden verbinden zu können. Wissenswerter ist wohl, dass Batman immer Speck und Anti-Hai-Spray dabei hat, und dass er am außergewöhnlichen Schluss der Story noch ganz andere nützliche Dinge erhält. (adi)

 
Daniela Schreiter: Lisa und Lio 2 Lisa und Lio - Das Mädchen und der Alien-Fuchs 2 (Daniela Schreiter, Panini 2023, 64 S., HC, farbig)
Die Einführung des Begriffs autistisches Spektrum war für Betroffene, Eltern, Pädagogen sehr hilfreich. Die zur Erklärung dieses Begriffs und zur Beschreibung eines Alltags mit Autismus von der Autorin sehr verständlich geschrieben und gut gezeichnete Schattenspringer-Buchreihe fand viele Leser. Sie wird für jüngere LeserInnen ergänzt durch die Comics "Lisa und Lio", deren zweiter Band nun herauskam(siehe auch Band 1). Ein gelungener Kunstgriff in der Erzählung über die autistische Schülerin Lisa ist die Einführung eines "extraterrestrischen Begleiters", des grünen Alien-Fuchses Lio. Mit diesem kann Lisa sich angesichts der bevorstehenden Schulfahrt austauschen und so die LeserInnen über ihre Ängste aufklären, die sie in der kommenden, ungewohnten Umgebung auszustehen haben wird. Insbesondere fürchtet sie, ihren "inneren Akku" nicht wieder aufladen zu können, weil sie keine angemessenen Ruhepausen bekommen wird. Die Fahrt mit den lärmenden MitschülerInnen im Bus wird zur ersten Herausforderung auf der Fahrt. Und dann soll sie auch noch ein Zimmer mit Jasmin teilen. Zum Glück hilft der grüne Außerirdische und auch Jasmin geht auf Lisas Wünsche ein, nachdem Lisa sie offen ausspricht. So findet sich ein Weg, auf dem man vorankommen kann. (adi)

 

Juli 2023

Stephen Davies/Núria Tamarit: Mythen, Mumien & mächtige Pharaonen im Alten Ägypten Mythen, Mumien & mächtige Pharaonen im Alten Ägypten (Stephen Davies/Núria Tamarit, Knesebeck 2023, 68 S., HC, farbig)
Mit diesem Hardcover-Album richten sich die Autoren in Wortwahl und Zeichnung an eine jüngere Leserschaft, ohne dass nicht auch für ältere Interessierte die Zusammenfassungen der ägyptischen Mythen einen guten Einblick in jene Kultur der über tausend Götter, der mächtigen Pharaonen und des umfangreichen Totenkults liefern. Im Aufbau wechseln sich doppelseitige Schautafeln (mit zugehörigen Erklärtexten) und meist sechsseitigen Comics ab, in denen die Geschichten von Seth und Osiris, Horus und Seth, Imhotep und König Djoser, Cheops, das Buch Toth und über Kleopatra nacherzählt sind. Auf die jungen LeserInnen wird auch durch kleine humorige Beifügungen eingegangen, so dass sich zum Beispiel im Osirismythos eine spaßige Szene zum Windelwechseln am Schluss findet und nicht etwa Horus' Zeugung mit den von Isis zusammengesetzten Leichenteilen des Osiris zum Thema wird. Nach der Tötung seiner Mutter Isis, wird der wütende Horus auch nicht durch Blendung bestraft, sondern kann seinen Kampf gegen Seth im sportlich-technischen Wettbewerb fortsetzen. Und Isis lebt in dieser Variante des Mythos offenbar als kuhköpfige Hathor weiter. So wie von unseren Märchen manchmal mehrere Versionen vorliegen, so ist es bei den mehrere tausend Jahre alten ägyptischen Mythen erst recht nicht anders. Der Autor traf daraus hinsichtlich seiner Leserschaft eine gute Auswahl. (adi)

 
Michael Mikolajczak/Sascha Dörp/Jacek Piotrowski et al.: Kult Geschichten 1: Tick Tock Kult Geschichten 1: Tick Tock (Michael Mikolajczak/Sascha Dörp/Jacek Piotrowski et al., Kult Comics 2023, 120 S., HC, farbig)
An den Gratis Comic Tagen 2018 und 2019 erschienen bereits zwei Hefte voller Kult Geschichten. Zwei daraus, die von Michael Mikolajczak getextet wurden, nämlich "S.C.U.M." (gezeichnet von Sascha Dörp) und "Königinnen" (gezeichnet von Holger Klein), sind nun zusammen mit sechs weiteren horrorgründigen Geschichten in der solide ausgestatteten Anthologie "Tick Tock" herausgekommen, die 2023 den ICOM-Preis für eine besondere Leistung oder Publikation erhielt. – Das erste Thema der Kurzgeschichtensammlung ist der unselige Einfall von Thomas Edison, sich gegen George Westinghouse durchzusetzen, indem er einen elektrischen Stuhl entwickeln ließ. Danach geht es um den "Klub 27", eine wütende Wespenkönigin, Kindesmissbrauch, Fledermausviren, die Wichtigkeit von Mimik und auch um die Ausrottung der Männer. Dazu geht Mikolajczak auf Valerie Solana ein, die in ihrem S.C.U.M. Manifesto fordert, "das männliche Geschlecht zu vernichten". 1968 schoss Solana auf Andy Warhol, der dieses Attentat knapp überlebte. Besondere Aufmerksamkeit verdient die grafische Arbeit von Jacek Piotrowski, dem schon für sein "Sandmann" reichlich Lorbeeren zustehen, und der hier nun die Geschichte einer alten Dame in besondere Bilder umsetzt (und auf das Titelbild bringt), die Angst davor hat, lebendig begraben zu werden. Sie landet daher im Museum und das "Tick Tock" ihrer Standuhr wird ihrem Arzt noch ewig nachhallen. (adi)

 
Rodolphe/Patrice Le Sourd: Farm der Tiere Farm der Tiere (Rodolphe/Patrice Le Sourd, Knesebeck 2023, 48 S., HC, farbig)
"All animals are equal but some animals are more equal than others", an diesen Satz aus dem Englischunterricht zu George Owells "Animal Farm" wird sich mancher noch erinnern. Auf dieses einzig noch übrig gebliebene Gebot verringerte sich im Laufe der Geschichte die Liste an Geboten, die anfangs auf der Farm der Tiere im revolutionären Schwung aufgestellt wurden, nachdem die herrschende Klasse, das sind hier der Bauer und seine Knechte, vertrieben worden war. Die von Rodolphe (d.i. Rodolphe Daniel Jacquette) verfasste Comic-Adaption folgt der Vorlage überzeugend, lässt also trotz einiger Kürzungen den schrittweisen Übergang von einem anfangs begeisterten, gemeinsamen Anpacken zum Nutzen aller bis hin zur Herrschaft der Schweine, also der Rückkehr einer ausbeutenden Führungsschicht, mit dem die ein solches System kennzeichnenden Begleitmaßnahmen sehr deutlich werden, mit beispielsweise den Ängsten, die die Herrscher vor einer angeblichen Bedrohung von außen schüren, den "Säuberungen", den revolutionären Liedern, den Rückblicken auf große militärische Siege und den lachhaften Ordensverleihungen für "Helden". – George Orwell schrieb diese Parabel auf den Stalinismus 1943/44 in London. Da die Sowjetunion mit Großbritannien im Kampf gegen Hitler-Deutschland verbündet war, erfolgte die Veröffentlichung des Buches erst nach dem Krieg und nur im Westen. Es blieb noch bis zur Wende in der DDR verboten. Denkt man an politische Vorgänge in manch heutigen Ländern, bemerkt man, dass Orwells Buch noch immer wichtig ist. (adi)

 
Miguel Angel Ruiz/Joshua Metzger/Marcel Dupree: Le Fay 1 Le Fay 1 (Marcel Dupree/Joshua Metzger/Miguel Angel Ruiz, Dantes Verlag 2023, 160 S., SC, farbig)
Morgan Le Fay ist keine Fee mehr, schon gar keine gute. Sie ist Halbschwester König Artus'. Sie war Königin eines Elfenlands. Sie kämpfte nach Artus' Tod mit Merlin um den Thron. Merlin behielt die Oberhand und nahm ihr erbarmungslos sowohl ihre Flügel als auch ihre magischen Kräfte. Danach verbrachte sie 1500 Jahre im Schlaf, bevor sie von der dreifältigen Mondin geweckt wurde und nun für diese drei Damen (das sind Jenny Grünzahn, die schwarze Agnes und die Krötenhexe Tilly Baldrey) zusammen mit dem Kobold Billy Blynde Aufträge zu erledigen hat. Sie sollen den Mord an Tillys Großnichte und deren Ehemann aufklären. Sie kommen dabei dem mordlüsternen, krallenbewehrten Spring-Heeled Jack auf die Spur und stoßen auf ein Wesen, das die ganze Welt bedroht. – In der Artuslegende (siehe auch unseren Artus-Artikel) taucht Morgana als wichtige weibliche Figur auf, die schon in mittelalterlichen Texten erwähnt wird. Die Autoren dieses Comics passen ihre von kämpferischen Auseinandersetzungen geprägte Story in die überlieferten Erzählungen zur Artussage und die britische Legendenwelt ein. Das wird auch im sorgfältig zusammengestellten Anhang mit Anmerkungen von Jens R. Nielsen deutlich, der auf Einzelheiten der Bildinhalte und der Figuren- und Wortwahl bezüglich literarischer und kultureller Quellen verweist. Sogar ein weltberühmtes Gemälde von Picasso wird dabei entdeckt, das man in Merlins Büro nicht erwartet hätte. (adi)

 
Frank Miller/Todd McFarlane: Batman/Spawn: Nacht über Manhattan Batman/Spawn: Nacht über Manhattan (Frank Miller/Todd McFarlane, Panini 2023, 68 S., HC, farbig)
Der eine aus der Höhle, der andere aus der Hölle: Batman trifft auf Spawn. Bruce Wayne glaubt mit Al Simmons einen harten Gegner vor sich zu haben und verkennt die Situation gründlich und schmerzhaft. Doch die Cyborgs mit ihren menschlichen Köpfen, die in Gotham und Manhattan auftauchen, stellen eine Gefahr dar, die gar nicht von Spawn ausgeht. Dieser sieht im kampfwütigen Batman nicht jenen Helden, für den ihn alle halten, da Batman sich vor den Wagen von Nadia Vladova alias Dr. Margaret Love, Gründerin von Heal the World, spannen lässt: "Oh Batman... all meine Träume liegen nun in deinen Händen." – Schon auf den ersten Seiten erkennt man an der Form von Batmans gezacktem, flatterndem Umhang, dass hier Todd McFarlane zeichnet. Batman wird bei diesem Zusammentreffen nicht vornehmlich als kluger Stratege dargestellt, sondern als dunkler Ritter und Rächer, dem Verletzungen kaum etwas ausmachen, der Alfreds Kamillentee nicht trinken will, der nicht nur in Gotham, sondern auch in Manhattan mit den gefährlichen Robotern aufräumen will. – Dieser legendäre Crossover-Comic erschien in Deutsch erstmals 1997/98, damals in Heftform im Format 17 cm x 26 cm, jetzt mit 21 cm x 32 cm deutlich größer, stabiler und angesichts der Bedrohung durch ferngesteuerte Waffen immer noch aktuell. (adi)

 
José-Louis Bocquet/Jean-Luc Fromental/Antoine Aubin: Die Abenteuer von Blake und Mortimer 26: Acht Stunden in Berlin Die Abenteuer von Blake und Mortimer 26: Acht Stunden in Berlin (José-Louis Bocquet/Jean-Luc Fromental/Antoine Aubin, Carlsen 2023, 64 S., SC, farbig)
Bei archäologischen Ausgrabungen im Frühjahr 1963 werden im Ural sieben Leichen gefunden, an deren gesichtslosen Köpfen Professor Philip Mortimer seltsame Spuren entdeckt, die auf ungeheuerliche medizinische Experimente hindeuten. Mortimer erinnert sich an die Theorien des Elektrochirurgen Julius Kranz, der über Elektroden Einfluss auf den Hippocampus nehmen und damit Zugang zum Verhalten und Charakter der Versuchsperson erreichen will. Zur gleichen Zeit ist Hauptmann Francis Blake mit einem Spionagefall befasst, in welchem ein Agent des BND in Berlin bei der Flucht in den Westen angeschossen wird. Mit dem Wort "Doppelgänger" auf den Lippen stirbt er in den Armen seines BND-Chefs. – Blake in Berlin, Mortimer im Ural, werden die Wege der beiden wohl bei der Lösung der beiden Fälle zusammenfinden? Und wo ist diesmal eigentlich Olrik? – Der Zeichner Aubin zeigte sein großes Können, in der Weise von Edgar P. Jacobs zu zeichnen, schon in "Die Septimus-Welle" und im zweiten Teil von "Der Fluch der dreißig Silberlinge". Die beiden Szenaristen Bocquet und Fromental klügelten ein spannendes Senario aus, das die typischen Elemente einer Blake-und-Mortimer-Story enthält. Den Hauptteil der Handlung siedelten sie in Berlin zwei Jahre nach dem Mauerbau an, als John F. Kennedy acht Stunden lang Westberlin besuchte. (adi)

 
Chiara Lagani/Mara Cerri: Meine geniale Freundin Meine geniale Freundin (Chiara Lagani/Mara Cerri, Carlsen 2023, 256 S., HC, farbig)
Unter den LeserInnen aus Italien stammender Literatur sind die Bücher der sogenannten "Neapolitanischen Saga" von Elena Ferrante sehr beliebt, ein Romanzyklus, der aus den vier Teilen »Meine geniale Freundin«, »Die Geschichte eines neuen Namens«, »Die Geschichte der getrennten Wege« und »Die Geschichte des verlorenen Kindes« besteht. In ihnen werden die Lebensgeschichten zweier begabter Mädchen erzählt, derjenigen von Elena, Lenù genannt, und von Raffaella, von Elena Lila gerufen. Die jetzt vorliegende Graphic Novel adaptiert das erste Buch und damit die Kapitel zu ihrer Kindheit und der frühen Jugend. – Im Stadtviertel von Lenù und Lila ist der Camorra-Clan unter Don Achille gefürchtet. Ausgerechnet in dessen Keller fallen die Puppen der Mädchen. Obwohl von vielen Ängsten geplagt, überwinden die beiden Mädchen zusammen ihre Furcht und klingeln bei Don Achille, um die Herausgabe ihrer Puppen zu erreichen. Damit beginnt ihre Freundschaft. – Die oft unfertig wirkenden, mit dem Unklaren spielenden Zeichnungen verfehlen ihre Wirkung dennoch nicht und geben die Atmosphäre der 1950er Jahre und die Stimmungen der Mädchen einfühlsam wieder. Dass das soziale Umfeld zu ganz unterschiedlichen Lebenswegen führen kann, mag nicht verwundern. Dass jedoch der hochbegabten Lila, der genialen Freundin, bedingt durch ihr Elternhaus, zu geringer Anerkennung und Förderung ihrer Fertigkeiten und durch die unglücklichen Beziehungen zu Männern ein überaus enttäuschendes Schicksal bevorstehen soll, möchte man einfach nicht wahrhaben. (adi)

 
Wilfried Lupano/Ohazar: Wikinger im Nebel 1 Wikinger im Nebel 1 (Wilfried Lupano/Ohazar, Carlsen 2023, 64 S., SC, farbig)
Der Sohn des Wikingerchefs Reidolf soll das Handwerk vom Vater lernen. Der Chef gibt sich als wahrer Haudrauf, der betont wie wichtig es ist, einen Helm zu tragen. Dass sein Sohn Arnulf die Runenknöchel des Wahrsagers mit auf seine erste Fahrt nimmt, passt nicht so recht zu seinen Vorstellungen vom Wikingismus, vom Plündern, Brandschatzen und Massakrieren. Immerhin achtet der Chef den Wunsch seiner Frau, keine Kirchen mehr anzuzünden. Dabei ist ihm völlig schleierhaft, dass deren Gott so schwach ist, dass er gekreuzigt werden kann und eine Dornenkrone trägt. Er hält es vielmehr mit den mächtigen nordischen Göttern Odin und Thor, die ihm bei lautstarken Beschwerden sogar helfen, seinen Helm wiederzufinden. Doch diesen altehrwürdigen Helm nutzte Arnulf bei starkem Seegang zum Erbrechen, um das Meer nicht zu verschmutzen. Der Chef hat also einiges auszuhalten. Und dann ist es auch noch neblig und sein Schiff kracht gegen einen Felsen. Der Überfall wird zum Reinfall. – In halbseitigen Funnystrips erfährt man viele Einzelheiten aus dem wilden Leben eines sehr speziellen Wikingerstamms. Wiederkehrende Gags wie zum Beispiel der Angriff einer aggressiven Ente (oder war es eine Gans?) tragen zum überaus vergnüglichen Lesen bei. (adi)

 
Pierre Christin/Virginie Augustin: Valerian und Veronique Spezial 3: Wo die Geschichten entstehen Valerian und Veronique Spezial 3: Wo die Geschichten entstehen (Pierre Christin/Virginie Augustin, Carlsen 2023, 56 S., HC, farbig)
Das Titelbild zeigt uns einen Pferdekarren, der unter einem von Pflanzen überwucherten Raumschiff durch eine kaukasische Landschaft mit ihren Wehrtürmen gezogen wird. Auf dem Karren sitzen Monsieur Albert und zwei Schulkinder. Es überrascht, dass die beiden Kinder Valerian und Veronique sind, für die Albert im 21. Jahrhundert die Vormundschaft übernommen hat. Sie erhalten von Galaxity den Auftrag, einen Handel mit dem sehr seltenen Boroflium, das aus Metalloidknötchen aus einer fast vergessenen Mine im Kaukasus gewonnen wird, gerecht unter Dach und Fach zu bringen. Sehr an der Substanz interessiert sind Meisterin Nazultra aus dem 28. Jahrhundert mit ihrem Schnarf und Mrs Richbaugh, die Chefin eines Start-Ups im 21. Jahrhundert. Ohne Boroflium droht nämlich den Delphen die Fantasie auszugehen, mit denen sie der Unterhaltungsindustrie ihre Seifenopern schreiben, zum Beispiel die Staffeln von "Die Liebschaften von Kardok dem Dreifüßler und Siilfil dem Arachnoiden". – In der Reihe an Valerian-und-Veronique-Spezialausgaben kommen Autoren und Zeichner zum Zug, die eine besondere Geschichte über die beiden Raumzeitagenten erzählen wollen. Mit dem nun vorliegenden Band möchten Pierre Christin und Virginie Augustin auch an den 2022 verstorbenen Zeichner Jean-Claude Mézières erinnern. Er winkt uns in einem der Panel von Bord der Lady Polaris II zu. (adi)

 
Junji Ito: Remina Remina (Junji Itō, Carlsen 2023, 256 S., HC, schwarzweiß)
Junji Itō ("Uzumaki", "Tomie", "Frankenstein") ist für Horror-Manga bekannt. Der aktuell erschienene Band handelt von einem höchst seltsamen Himmelskörper, den Professor Oguro entdeckt hat. Der Nachweis eines Wurmlochs, aus dem dieses Objekt in unser Universum übertrat, brachte ihm einen Nobelpreis ein. Ohne zu ahnen, wie viel Leid seine Tochter dadurch zu ertragen haben wird, benennt er den auf ungewöhnlichen Bahnen dahinrasenden Himmelskörper nach ihr, nach der 16-jährigen Remina. Der Rummel um ihre plötzliche Bekanntheit ist Remina unangenehm, aber er bringt ihr auch Werbeverträge, den engagierten Manager Yasumi Mitsumura und einen Fanclub ein. Deren Präsident Naoya Goda zeigt sich besonders vernarrt in das scheue Mädchen. Doch dann fliegt das mysteriöse Himmelsobjekt plötzlich planetenfressend auf die Erde zu. Der blindwütige Mob glaubt nun, angestachelt durch fanatische Kapuzenträger mit ihrer verqueren Logik, dass Remina und ihr Vater am Kreuz geopfert werden müssen, um den Untergang der Erde zu verhindern. – Die horrenden Szenen, in denen das gänzlich unschuldige Mädchen von irregeleiteten Menschenmengen verfolgt und gefoltert wird, lassen hoffen, dass diese Geschichte vor den Hetzern und Falschmeldern warnen soll, die in unseren Tagen ihr Unwesen in den Medien treiben. (adi)

 
Tom King/Greg Smallwood: Human Target 2 Human Target, Band 2 (Tom King/Greg Smallwood, Panini 2023, 236 S., SC, farbig)
Nur zwölf Tage bleiben Christopher Chance (d. i. Human Target) nach seiner Vergiftung, wie uns der erste Human-Target-Band dieser neuen Comicreihe von 2022 erzählt. Nun geht es im zweiten Band darum, wie Chance den Mord an sich selbst aufzuklären versucht, dem eigentlich Lex Luthor zum Opfer fallen sollte. Bei seinen Nachforschungen folgt er diversen Fährten, die zu Green Lantern 2b (d.i. Guy Gardner), Fire (d.i. Beatriz da Costa) und Ice (d.i. Tora Olafsdotter) führen. Bevor in diesem Sammelband die wunderbar gezeichneten Hefte mit der Schilderung seiner Mördersuche und die Beschreibung seiner Liebe zu Ice beginnen, werden in einem vorweg abgedruckten Sonderheft im Rückblick die außerordentlichen Fertigkeiten der Human Target an drei Beispielen deutlich gemacht. Für die spaßigen Sprüche sorgt darin Booster Gold, der großtuerisch verkündet: "Menschen sterben, wenn man seine Zeit mit Lesen vergeudet". Christopher Chance und die ihm zur Seite stehende Ice kommen recht bald zur Erkenntnis, dass man in den Reihen der Justice League International nach der Herkunft des Gifts und des Täters suchen muss. – Auch wenn man von Superheldencomics gewohnt ist, dass Tote dann doch wieder auferstehen, so sieht es für Christopher Chance ganz so aus, als hätte er durch seinen Einsatz für Lex Luthor das allerletzte Mal eine Zielscheibe abgegeben. (adi)

 
John Ridley/Christian Duce: Ich bin Batman 3: Mitternachtsdetektive Ich bin Batman 3: Mitternachtsdetektive (John Ridley/Christian Duce, Panini 2023, 212 S., SC, farbig)
Im vorigen Sammelband dieser Comicreihe aus einer alternativen Batmanwelt, wurde erzählt, wie Jace Fox als neuer Batman von Gotham nach New York City wechselte. Er ist hinter dem Mörder von Anarky (d.i. Lonnie Machin) her. Wegen der seinerzeit durch Manrays Mord frei gewordenen Stelle des Police Commissioners reist Renee Montoya, erfahrene Polizistin aus Gotham, zu einem Bewerbungsgespräch ebenfalls nach New York. Und auch Detective Adriana Chubb kommt aus Gotham und hat sich im Polizeidienst gegen unangenehme New Yorker Kollegen durchzusetzen. – Eine Gruppe von Aktivisten demonstrierte mit Danny Chan als Sprecher gegen sozioökonomische Ungerechtigkeiten. Chan überlebte sein Engagement nicht. Anarky wollte dieses Verbrechen aufklären und kam dabei ebenfalls um. Der Jace-Batman, seine Schwester Tiffany Fox und eine weitere Mitstreiterin namens Question suchen innerhalb der Polizei und der ganzen Stadt nach den Tätern. – Formal fällt angenehm auf, dass es unten rechts auf den Seiten des Öfteren eine kleine Textbox gibt, ein kleiner Teaser für den Inhalt der Folgeseite oder ein zusammenfassender Kommentar für die LeserInnen. Dieser Abschlussband setzt sich aus immerhin acht Heften zusammen, die am Ende noch ein Familiendetail enthüllen, das Jace sehr nahe geht. (adi)

 
Alecos Papadatos/Tassos Apostolidis: Aristoteles Aristoteles (Alecos Papadatos/Tassos Apostolidis, Carlsen 2023, 220 S., HC, farbig)
Als ein ausnehmend guter Sachcomic, der sich sowohl ausreichend Platz für die Lebensgeschichte Aristoteles' als auch für die von ihm entwickelten Lehren nimmt, liegt nun ein Buch in den Läden, dem sich viel abgewinnen lässt. Da wären zum einen die Einblicke in die griechische Geschichte der Zeit Alexanders des Großen, den Rivalitäten zwischen Athen, Sparta und Makedonien. Zum anderen werden die Erkenntnisse Aristoteles' oft in mehrerlei Weise verdeutlicht, wenn zum Beispiel von der Mesotes (der Stellung der Tugend zwischen zwei entgegengesetzten Lastern), der Entelechie (der Tendenz der Wesen, das Ziel zu erreichen, für das sie geschaffen wurden) oder intellektueller Aktivität die Rede ist, die den Menschen zum Glück führt, "dem höchsten Ziel des Lebens". Aristoteles mag etwas von diesem Glück gefunden haben, zusammen mit seiner ersten Frau, der Biologin Pythias, und seiner späteren Frau Herpyllis, auch wenn er in seinem Leben oft umziehen musste. Freunde wie Theophrastos, der der Erzähler in diesem Comic ist, standen ihm dabei stets zur Seite. Von seinen Weisheiten bleiben solche im Gedächtnis, die auch heute noch Betrachtung verdienen (zumindest bei Lehrern): "Denn im richtigen Gebrauch der Sprache drückt sich das Funktionieren des Denkens aus, und das richtige Funktionieren des Denkens enthüllt Elemente der Struktur der Welt" oder "Die Wurzeln der Bildung sind bitter, doch ihre Früchte sind süß." Ita est. (adi)

 
Jen Wang: Der Prinz und die Schneiderin Der Prinz und die Schneiderin (Jen Wang, Carlsen 2023, 288 S., HC, farbig)
Als "romantischstes Märchen des Jahres" ist der Inhalt dieses handlichen Buchs angekündigt, womit man gleich eine Ahnung davon bekommt, was sich zwischen Schneiderin und Prinz wohl zutragen wird. Doch es geht hier nicht um eine Variante von "Aschenputtel", in der der Prinz nach seiner weggelaufenen Auserwählten sucht, sondern die Zeichnerin Jen Wang hat sich einen ganz eigenen Prinzen geschaffen: Kronprinz Sebastian von Belgonien gefällt es sehr, Frauenkleider zu tragen. Seine Schneiderin Frances entwirft und näht ihm Kleider, mit denen er als Lady Chrystallia Erfolge feiert. Aber seine Familie und die Öffentlichkeit sollen von seiner zu wenig tolerierten Vorliebe nichts wissen, was auch Frances in Schwierigkeiten bringt, die nicht im Verborgenen arbeiten will, sondern nach beruflicher Erfüllung strebt. – Die gut aufgeteilten Seiten, die sich durch die Darstellung der einfallsreichen Kleider, des stimmigen Dekors und der ausdrucksstarken Mimik der Figuren auszeichnen, machen das Märchen auch für eine jüngere Leserschaft gut lesbar. Für diese umfangreiche Arbeit erhielt Jen Wang 2019 Eisner Awards als "Best Publication for Teens" und als "Best Writer/Artist". (adi)

 
Jose Luis Munuera/Béka: Rostige Herzen 1: Debry, Cyrano und ich Rostige Herzen 1: Debry, Cyrano und ich (Jose Luis Munuera/Béka, Carlsen 2023, 72 S., HC, farbig)
Ob die rostigen Herzen, von denen im Titel dieser Comicserie die Rede ist, womöglich etwas mit rostig werdenden Robotern zu tun haben, von denen es hier viele gibt? Das erschließt sich den LeserInnen erst gegen Ende der Geschichte über Isea, ihrem Hausmädchenroboter Debry und ihrer Internetbekanntschaft Tal. Auch klärt sich schon bald, was es mit dem blonden Mädchen Tal auf sich hat und warum diese Internetfreundin der Schülerin Isea ausgerechnet eine Verfilmung des Versdramas "Cyrano de Bergerac" empfiehlt. – Die Autoren zeigen uns eine Steampunk-Welt, in der es Roboter für die täglichen Arbeiten gibt, selbst für die Kinderbetreuung, in der die Menschen aber andererseits mit Pferdekutsche, Dampflokomotive, Dampfboot und Doppeldecker-Flugzeug unterwegs sind. In diese Welt gehört auch der Roboterspürhund Cdt-130g, den Isea von ihrer kaltherzig wirkenden Mutter auf die Fersen geheftet bekommt. So erfährt die in sich abgeschlossene Geschichte am Ende eine spannende Zuspitzung, wobei Blech birst und Kugeln fliegen, die Asimovschen Robotergesetze aber nicht verletzt werden. Doch die unbedingte Liebe zu einem Roboter bietet natürlich Grund für Nachdenklichkeit. (adi)

 
Pierre-Henry Gomont: Die neuen Russen 1: Nach dem Fall Die neuen Russen 1: Nach dem Fall (Pierre-Henry Gomont, Schreiber & Leser 2023, 112 S., HC, farbig)
In der Jelzin-Ära wurde Russland zum "Fraß der schlimmsten kapitalistischen Heuschrecken", wie es der Autor in seinem Vorwort zu diesem ersten Band beschreibt. Dimitri Lawrin hält viel vom Unternehmertum und begeistert sich für Oligarchen, die sich ganze Industrieanlagen für 'nen Appel und 'n Ei unter den Nagel reißen. Mit einigem Geschick mischt Lawrin dabei mit, sich an den Hinterlassenschaften der Sowjetunion zu bereichern. Er plündert zusammen mit dem Künstler Slava Segalow verlassene Sowjetruinen und erklärt dem lernwilligen Slava, dass das Schöne am Kapitalismus "verkaufen statt kaufen" sei. Doch diese Zeit des Wildwuchses wird für Slava und Lawrin gefährlich. Bei einem Überfall werden sie von Nina gerettet, die mit ihrem Vater Wolodia in einem verlassenen Thermalbad lebt. Sofort denkt Lawrin daran, was man von dessen Inventar verkaufen könnte. – Mit lockerem Strich und einer Bildgebung wie in einem abenteuerlichen Semi-Funny gelingt es Gomont, eine Zeit zu beschreiben, in der eine geordnete Gesellschaft in einen Kampf jeder gegen jeden überzugehen beginnt. Gomont lässt Slava dazu aus dem "Leviathan" von Thomas Hobbes zitieren. Gomont schafft für seine Schilderung eine authentisch wirkende Atmosphäre, auch unterstützt durch die in kyrillischen Buchstaben notierten Pengwörter, die uns die Entstehung der Oligarchenwelt auf leichte Weise verstehen lassen. (adi)

 
Sascha Dörp: Drinnen Drinnen (Sascha Dörp, Kult Comics 2023, 256 S., HC, farbig)
"Greif dir doch deine Kamera und fotografier ein bisschen! Oder freunde dich mit den Kindern aus dem Haus an..." wird Oliver "Oli" Jansen von seiner Mutter aufgefordert, weil dieser nicht weiß, was er am schulfreien Tag allein in der neuen Umgebung machen soll. Seine Mutter ist mit ihm vor Kurzem in ein heruntergekommenes Hochhaus gezogen. Der Tod des Vaters zwang sie finanziell zu diesem Umzug. Beim Herumlaufen durch die zugemüllten Gänge des Plattenbaus trifft er auf drei ältere Jungs, den "Amoks", die erst einer Katze und dann ihm ans Leder wollen. Oli rennt weg. Das Mädchen mit der gebrochenen Nase, Marillo, rettet ihn. Sie verrät ihm das Passwort, mit dem man in die Wohnung von Dominik gelassen wird, wo sich die Kids der "Schwarzen Krake" treffen. Einer von ihnen, Marcel, hat sich die Schallplatte "Debil" von den Ärzten geliehen, deren teils gruselige Texte man sich gemeinsam anhört. Marillos Bruder, Tobi, meint, das Monster gesehen zu haben, von dem da gesungen wird. – Wir befinden uns mitten in den 1980er Jahren. Der Autor und Horror-Fan Sascha Dörp legte die seitenstarke Erzählung so an, dass man sich anfangs in einer glaubhaften Schülergeschichte jener Zeit fühlt, die dann zunehmend mit spukhaften Einschüben angefüllt wird, deren Ursachen erst der furiose Schluss aufdeckt. Dafür erhielt das Buch den ICOM-Preis 2023 als bester Independent-Comic in der Kategorie Selbstveröffentlichung. (adi)

 
Miles Hyman/Jean-Luc Fromental: Die Profumo-Affäre Die Profumo-Affäre (Miles Hyman/Jean-Luc Fromental, Schreiber & Leser 2023, 104 S., HC, farbig)
Alle Vorwürfe abstreiten, bis einem die Beweise keinen Ausweg mehr lassen, das gibt es bei Politikern immer wieder. Im britischen Parlament kam jüngst Boris Johnson in eine solche Lage, für die die Profumo-Affäre als Blaupause gelten könnte. Der Kriegsminister John Profumo stritt erst einmal ab, dass er 1961/62 eine "anstößige" Liaison mit Christine Keeler unterhalten habe. Da diese Frau auch mit dem sowjetischen Militär-Attaché Jewgeni Iwanow ins Bett ging, witterte man eine mögliche Spionagetätigkeit, die in jenen Tagen von Berlin- und Kubakrisen als besonders heikel einzuschätzen gewesen wäre. Letztlich wurde Profumo der Lüge überführt und trat zurück. – Dieser dokumentarische Comic schildert die Affäre im Einzelnen aus der Sicht von Stephen Ward, der als gefragter Osteopath Zugang zu den höheren gesellschaftlichen Kreisen hatte. Ward führte die Pole-Tänzerin Christine Keeler und andere junge Frauen in diese Kreise so ein, dass man ihm später vorwarf, er habe sich durch die Vermittlung der Frauen an die hohen Herren bereichert. Als weitere Anklagepunkte werden seine "verwerflichen Sitten" und seine "moralische Verkommenheit" vorgetragen. Das klingt nach iranischer Justiz. Der Autor Jean-Luc Fromental begründet am Schluss des Buches überzeugend, warum die Profumo-Affäre für uns auch noch sechzig Jahre nach ihrem Entstehen bedeutsam ist. (adi)

 
Yves Sente/Grzegorz Rosinski: Skarbek (Gesamtausgabe) Skarbek (Gesamtausgabe) – Hände aus Gold - Herz aus Bronze (Yves Sente/Grzegorz Rosinski, Schreiber & Leser 2023, 128 S., HC, farbig)
Die vom meisterhaften Rosinski ("Thorgal") großartig in Bilder gesetzte Erzählung über Piraten, Frauen und einen beidhändigen Maler wird in dieser Gesamtausgabe um ein "Skizzenbuch von Louis Paulus und Grzegorz Rosinski" ergänzt, in welchem die Hauptfiguren der vor einem Gericht ausgetragenen Rache nochmals in ihrer grafischen Entstehung abgebildet sind: da ist der vorgebliche Graf Mieszko Skarbek mit seinem halbverbrannten Gesicht, die fechtkundige Violetta als Skarbeks Begleiterin, die überaus begehrte Magdalena, der hinterlistige Kunsthändler Daniel Northbrook und da sind die Kunstsammler, die für die Werke von Louis Paulus offenbar jeden Preis zu zahlen bereit sind. Nach seiner Ankunft in Paris bemüht sich Skarbek sehr bald, Magdalena zu finden, die dem hochgeschätzten Maler Louis Paulus bis zu dessem angeblichen Tod Modell stand. Violetta findet Magdalena und lädt sie zu Skarbek ein, um nun diesem Modell zu stehen. An seinem Malstil erkennt Magdalena, dass Skarbek jener Louis Paulus sein muss, allerdings um viele Jahre gealtert. Sie lässt sich auf Skarbeks Plan ein, seine alten Widersacher vor Gericht bloßzustellen. So beginnt eine Geschichte mit mehreren unerwarteten Wendungen, die den Richter und die LeserInnen überraschen werden. (adi)

 
David Hine/Fabrice Sapolsky/Carmine Di Giandomenico: Marvel Must-Have 75: Spider-Man Noir Marvel Must-Have 75: Spider-Man Noir (David Hine/Fabrice Sapolsky/Carmine Di Giandomenico, Panini 2023, 116 S., HC, farbig)
In der Reihe der Comics mit der Goldkante, die mit "Marvel Must-Have" überschrieben sind, ist dieses Mal eine Spider-Man-Erzählung aus dem Jahr 2009 abgedruckt worden, die in einem alternativen Spider-Man-Universum spielt, welches den Eingeweihten als Erde-Noir bekannt ist. Die Bezeichnung Noir soll wohl auf den "Film noir" verweisen, der in seiner düsteren, pessimistischen Stimmung und mit seinen abgewrackten Detektivfiguren Vorlage für die Idee gewesen sein mag, Peter Parker und seine Tante May in einer Story antreten zu lassen, in der der Gangsterboss Kobold im New York der 1930er Jahre die Unterwelt, die Polizei, den Bürgermeister und womöglich sogar den Daily Bugle beherrscht. Peter Parker erlebt, dass sein Onkel Ben von den Leuten des Kobold (d.i. Norman Osborn) ermordet wird. Er kann nichts tun. Seine Spider-Man-Fähigkeiten fehlen ihm (noch). Als eine Art Detektivfigur mit Trenchcoat und Schlapphut steht ihm der Bugle-Reporter Urich zur Seite. Tante May engagiert sich für die Armen der Stadt. Auch gegen ihre öffentlichen Auftritte schreitet der Kobold ein, der seine Handlanger aus Zirkus- und Freak-Shows holt. Auffällig ist unter denen ein nosferatugestaltiger Typ namens Geier, der zuvor in einem Käfig lebte, wo er Hühnern den Kopf abkaute. Nun merkt man, es ist wirklich an der Zeit, dass Peter Parker von einer Spinne gebissen wird. (adi)

 
Sarah Airriess/Apsley Cherry-Garrard: Die schlimmste Reise der Welt 1: Ums Kap nach Süden Die schlimmste Reise der Welt 1: Ums Kap nach Süden (Sarah Airriess/Apsley Cherry-Garrard, Panini 2023, 168 S., HC, farbig)
Die Route der "Terra Nova" führt 1910 über Cardiff, Madeira, Süd-Trinidad, Kapstadt, Melbourne, Christchurch, Dunedin in die Antarktis. Ihr Kapitän Robert Falcon Scott und seine Begleiter wollen als erste Menschen den geographischen Südpol erreichen. Als ein Telegramm eintrifft, dass Roald Amundsen ebenfalls auf dem Weg zum Südpol sei, beginnt eine Art Wettrennen mit den bekannten furchtbaren Folgen. – Apsley Cherry-Garrard, Abenteurer und Teilnehmer an dieser Expedition, schrieb 1922 im Buch "The Worst Journey in the World" seine Erlebnisse nieder, ein Buchtitel, den die Autorin für ihre Grafiknovelle übernahm, deren erster Band nun vorliegt. – Während man heute mit einem Touristenschiff problemlos und mit vergnüglichem Bordprogramm bequem in die Antarktis reisen kann, hatten die Polarforscher vor nur gut hundert Jahren auf ihrem hölzernen Segelschiff in Sturm und Wetter noch bedrohliche Gefahren auf sich zu nehmen, auch wenn der Dreimaster "Terra Nova" mit einer unterstützenden Dampfmaschine ausgerüstet war (100 Kilowatt!). Das informative Buch erklärt, dass dafür 470 Tonnen Kohle mitgeführt wurden, Kohle, die die Seeleute an ungeahnter Stelle in Schwierigkeiten bringen wird. Auch wenn die Zeichnungen anfangs viel an Fröhlichkeit und Gesängen zeigen, so ahnt man, dass es auf dem eisigen Kontinent für die Forscher bei dieser Stimmung nicht bleiben wird. (adi)

 

Juni 2023


Matt Fraction/Elsa Charretier: November 2: Die Stimme am Telefon November 2: Die Stimme am Telefon (Matt Fraction/Elsa Charretier, Schreiber & Leser 2023, 152 S., HC, farbig)
Drei Frauen sind in ganz unterschiedlicher Weise in üble Machenschaften von Polizisten verwickelt: Kay Kowalski macht nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Polizeidienst als zivile Kilfskraft in einer Notrufzentrale Dienst bis zur Erschöpfung, Emma-Rose findet als Mitarbeiterin eines Lieferdienstes auf der Straße eine Pistole, die drogensüchtige Deanna, "Dee", hat eine geheimnisvolle und lukrative Kommunikationsaufgabe in einem Taubenschlag auf dem Hausdach übernommen. Am Ende des ersten Bands von "November" liegen zwei der Frauen gefesselt in einem Lagerhaus. Rund um dieses Lagerhaus voller Diebesgut entscheidet sich das Schicksal der beiden durch das gewissenhafte und entschlossene Eingreifen der dritten Frau, die dafür ihr Privatleben hintanstellt. – In einem klug konstruierten Puzzle aus Rückblenden und Jetztzeitpassagen erschließt sich den LeserInnen nach und nach eine spannungsgeladene Geschichte, die in den trüben Novembertagen einer amerikanischen Großstadt spielt. In drei Nachträgen werden am Ende die sehr unterschiedlichen weiteren Lebenswege der drei Frauen vorgestellt, die mehr oder weniger wie ein Lichtblick am Ende des Tunnels erscheinen. (adi)

 
Garry Duggan/Matteo Scalera: Batman - One Bad Day 4: Mr. FreezeG. Willow Wilson/Jamie McKelvie: Batman - One Bad Day 5: Catwoman Batman - One Bad Day 4: Mr. Freeze (Garry Duggan/Matteo Scalera, Panini 2023, 76 S., HC, farbig)
Batman - One Bad Day 5: Catwoman (G. Willow Wilson/Jamie McKelvie, Panini 2023, 76 S., HC, farbig)
Die abgeschlossenen Geschichten über und mit den Superschurken der Batmanwelt erscheinen erfreulicherweise monatlich. Nach dem Pinguin sind im Frühjahr die superfähigen Kriminellen Mr. Freeze und Catwoman, denen die LeserInnen gelegentlich auch eine sympathische oder zumindest mitleiderregende Seite abgewinnen mögen, Gegenstand der gut gezeichneten, soliden Bände. Der Batman-Brecher Bane wird den beiden schon bald folgen. – Dr. Victor Fries (d.i. Mr. Freeze) hat seiner genialen Forschung mit Kältetechnik und einem Kampf mit der Obrigkeit sein Schicksal zu verdanken. Er überlebt seitdem nur bei arktischen Temperaturen. Eine gläserne Haube über einem kälteregulierenden Schutzanzug trägt er in diesem Band nicht, auch wenn das Cover es andeutet. Seine Frau Nora versetzte er in den Kälteschlaf, angeblich um die Zeit zu überbrücken, bis eine Heilmethode gegen ihre Krankheit gefunden ist. Doch was geschieht und geschah mit Nora denn nun wirklich? Batman und Robin wappnen sich in der kommenden Auseinandersetzung mit Mr. Freeze mit neuer Winterausrüstung für das Batmobil und einem heißen Anzug gegen Victors Kältekanone. – Selina Kyle (d.i. Catwoman) ist eine Meisterdiebin. Sie ist in einer familiären Angelegenheit unterwegs, denn eine alte Brosche, ein Erbstück ihrer Mutter, taucht in einer Auktion mit einem hundertfach höheren Preis auf, als ihre Mutter sie seinerzeit versetzen musste, um die Miete zu bezahlen. Sie will Klarheit, für sich und ihre Schwester Maggie. Dabei kreuzt eine ältere Dame ihren Weg. Sie nennt sich Vivian Page und scheint einiges auf dem Kasten oder Kerbholz zu haben. (adi)

 
Ivo Kircheis: Paralleluniversum 4 - Schwarze Löcher Paralleluniversum 4: Schwarze Löcher (Ivo Kircheis, Beatcomix 2023, 56 S., SC, schwarzweiß, teilw. farbig)
"Papa, kennst du Ustipanscho?" Es sind sowohl witzige Momente aus den Gesprächen mit den Kindern, aber auch nachdenkliche Töne, die einen Rückblick auf die Corona-Zeit bieten, welche der Zeichner abwechslungsreich und humorvoll auf den Bildschirm bringt. Auf seiner Website paralleluniversum.net ist Ivo Kircheis inzwischen bei Strip Nr. 635 angekommen, der ein unangenehmes Urinalgespräch zum Inhalt hat. In gewissen Situationen kann man Gesprächen einfach nicht ausweichen. Zum Comicfestival in München 2023 brachte Kircheis nun bisher unveröffentlichte Strips der letzten elf Jahre in einem querformatigen Sammelband unter. Der klärt viele Fragen: Was bedeutet es, wenn man eine Treuekarte vom Dönerladen besitzt? Wie soll man es anstellen, sich immer in die Kniekehle zu flatulieren, wenn die Hinten-rum-Übertragung zur bedrohlichen Gefahr wird? Warum muss der arme Shackleton raus "an die frische Luft", wenn an Mister Rockets Raumgleiter ein Sonnenkollektor einfriert? Und wieso teilt sich die Bevölkerung auf in Nullen und Einsen? Und ganz beiläufig wird es auch noch astronomisch: "Wolle schwarze Loch kaufe? – Isse sehr gut. – Schön schwarz und lochig". (adi)

 
Julia Schneider/Lena Kadriye Ziyal: We need to talk, AI We Need to Talk, AI – A Comic Essay on Artificial Intelligence (Julia Schneider/Lena Kadriye Ziyal, Schneider 2019, 56 S., SC, schwarzweiß, in Englisch)
Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin Julia Schneider beschäftigte sich intensiv mit der Künstlichen Intelligenz (KI) schon vor der Zeit, in der die Auseinandersetzung mit diesem Thema anlässlich der Leistungssteigerung von ChatGPT, Midjourney & Co. hochkochte. Der besondere Reiz des im Selbstverlag erschienenen Bands ist die Gestaltung durch eine Comiczeichnerin, die Schneiders sorgfältig gegliederten Essay gekonnt ins Bild setzt. Wie man sich denken kann, geht es nicht um mathematisch-technische Erklärungen zur KI, sondern um ein Aufzeigen der benötigten Ressourcen, der wesentlichen Eigenschaften und Auswirkungen von KI-Programmen. Dazu gehören Einblicke in die Mustererkennung (Klassifizierungen), Vorhersagesysteme zur Kundenführung, medizinischen Hilfssysteme, Anwendungen zur Überwachung, sozialen Auswirkungen, also in die Chancen und in die Risiken, die die KI mit sich bringt. Man hört in diesen Tagen, dass sich politische Gremien eilig um eine Regulierung des KI-Bereichs bemühen. Dieser Comic lässt erkennen, in welchen Fällen das dringend nötig sein wird. (adi)

 
Gaëlle Geniller: Die Blüte von Paris Die Blüte von Paris (Gaëlle Geniller, Carlsen 2023, 224 S., HC, farbig)
Für ihn ist es ganz natürlich, dass er sich im Pariser Varieté Die Blüte auf der Bühne bewegt, wie die anderen Tänzerinnen. Besitzerin des Varietés ist seine Mutter. Wie allen ihren Tänzerinnen gibt sie auch ihm den Namen einer Blume: Rose. In diesem Umfeld wächst er auf und findet Freude am Tanzen. Durch seine Auftritte macht er die Bekanntschaft eines respektvollen Verehrers, Aimé d'Opra, der bei einem der ersten Treffen danach fragt, ob er von Rose als 'er' oder 'sie' sprechen solle. Aimé erhält als Antwort: "Heute Abend nehmen wir 'sie'. Dann sehen wir weiter." Roses Auftritte in der Blüte machen ihn/sie immer bekannter. Auf die Frage des Redakteurs einer Zeitung, ob er eine Frau im Körper eines Mannes sei, antwortet Rose: "Nein, ich halte mich für einen Mann, der die Frauen so sehr mag, dass er so sein möchte wie sie." Aimé verschafft Rose eine unbeschwerte Zeit. Er schenkt Rose das Buch "La garçonne", womit die Autorin auf einen Roman von Victor Margueritte verweist, der von einer Frau handelt, die sich gegen althergebrachte Erwartungshaltungen auflehnt. Aimé selbst fühlt sich durch Roses Lebensfreude und ausgelebten Freiheiten von seiner Lethargie erlöst. Er nimmt nun sein Leben in die eigenen Hände. – Diese Erzählung wirkt wie ein Lehrstück über einen vorbehaltlosen, vorurteilsfreien Umgang mit Identitätssuchenden und über konventionelle Rollenzuweisungen. Geschickterweise deutet die Autorin erotische Momente höchstens an, das eigentliche Anliegen, Roses Denken und Entwicklung zu beschreiben, bleibt stets im Vordergrund. (adi)

 
Tim Eckhorst/Brösel/Volker Sponholz/Kim Schmidt/Arne Auinger et al.: Pure Fruit #27: KI Pure Fruit #27: KI (Tim Eckhorst/Brösel/Volker Sponholz/Kim Schmidt/Arne Auinger et al., Flying Kiwi 2023, 100 S., SC, farbig)
Zur Auswirkung der Programme der Künstlichen Intelligenz (KI) auf den Comicbereich erschienen bereits mehrere Artikel in unseren Fachzeitschriften. Zur 27. Ausgabe des Gratis-Comic-Magazins Pure Fruit haben gleich zwei Dutzend AutorInnen ihre besondere Sicht auf das Thema beigesteuert. Nach einem einordnenden Vorwort des schleswig-holsteinischen Digitalministers werden durch die folgenden Comicbeiträge die Befürchtungen und Zukunftsaussichten aufgezeichnet, die Werner in klassischer Manier mit "Naja, eigentlich is die Kacke ja schon voll am dampfen..." beschreibt. Günni, die Glühbirne, sinniert sachlich über Nutzen und Probleme der KI, während Gott im Gespräch mit Zwacki, dem Eichhörnchen, feststellt: "Was künstlich ist, ist eben keine Kunst!" Vielerhoffend ist der Ansatz, mittels KI das Album "Tim und die Alpha-Kunst" fertigzeichnen zu lassen, was den Puls der Hergé-Erben sicherlich hochtreiben wird. Wichtiges Thema des Bands ist selbstverständlich, dass eine Grafik-KI ihre Resultate durch das Zusammenführen zeichnerischer Vorlagen erzielt und deren ungefragten Urhebern nichts an Gegenleistung bietet. Aber vielleicht kommt die KI von selbst zu unerwarteten Einsichten, indem sie an der Frage "Werd' ich denn jemals mehr als die Summe meiner Module sein?!" verzweifelt (s. S. 38ff: "Das Drama der begabten K.I."). (adi)

 

Mai 2023


Grant Morrison/Mark Millar et al.: Flash Flash von Grant Morrison und Mark Millar (Grant Morrison/Mark Millar/Paul Ryan/John Nyberg et al., Panini 2023, 348 S., SC, farbig)
Nachdem gemessen wurde, dass die spukhafte Fernwirkung mindestens zehntausend Mal schneller als Licht im Vakuum sei, stellt sich unmittelbar die Frage, wie schnell eigentlich Flash ist. Und gibt es da Unterschiede zwischen Flash I (Jay Garrick, mit Flügelhelm), Flash II (Barry Allen), Flash III (Wally West, mit Ohrenflügeln) und Flash IV (Bart Allen aka Impuls)? Man weiß, Barry Allen kann Lichtgeschwindigkeit erreichen. Über Wally West liest man in diesem seitenstarken Comic einerseits dasselbe (7 Sekunden pro Erdumrundung), andererseits schafft er mit gebrochenen Beinen und dem Mirror Master im Schlepptau sogar Überlichtgeschwindigkeit. Seine Fähigkeit, eine Zeitschleife zu bilden, lässt darauf schließen, dass er mit ungeheuren Massen umgehen kann, ohne dass es ihn zerreißt, was jedem Physikstudierenden Ehrfurcht abverlangt. Kein Wunder, dass selbst Sheldon Cooper vom roten Blitz beeindruckt ist. Was PhysiklehrerInnen erschaudern lässt, wenn der lichtschnelle Flash zum Beispiel durch ein Prisma in genau sieben Farb-Flashes zerlegt wird oder er sich durch eine Wand vibriert, ist für diejenige eine Feier, die schon immer an die Speed Force glaubten und Gefallen an der Wiederkehr alter Superhelden und Superschurken finden. (adi)

 
Hanco Kolk/Peter de Wit: Gilles der Gauner 1 - Der Wahnsinn beginnt! Gilles der Gauner 1: Der Wahnsinn beginnt! (Hanco Kolk/Peter de Wit, Panini 2023, 168 S., HC, farbig)
Erst vor Kurzem kam von Hanco Kolk mit der Erzählung "Tulpen aus Istanbul" eine albenlange Spirou-und-Fantasio-Geschichte in die Läden. Da passt es zum Ausweis der Entwicklung und Vielseitigkeit dieses Zeichners gut, dass nun ein Band mit seinen frühen Arbeiten aus den 1980er Jahren vorliegt. Als Hauptfigur wird der Wegelagerer Gilles zu Beginn in kurzen Gag-Episoden einführt. Diesen etwas tölpelhaft handelnden Gauner des ersten Teils des Buches als "niederländischen Asterix" zu bezeichnen, wäre ein schiefer Vergleich, aber im hinteren Teil des Buches wird mit den beiden längeren Episoden "Sturm über Dubbeldam" und "Die Schwestertürme" von 1987 erkennbar, warum der Werbetexter des Backcovers eine Asterix-Parallele sieht. Die zunächst meist wenig erfolgreichen Raubzüge von Gilles und sein im Gegensatz dazu späterer, heldenmutiger Einsatz für die niederländischen Seestreitkräfte spielen sich vor einem wahren historischen Hintergrund ab, der spanischen Besatzung der Niederlande im 16./17. Jahrhundert. Auf die politische Situation dieser Zeit geht man im Vorwort des Buches ein. So wie sich Asterix und sein Dorf gegen die römischen Eroberer auflehnen, so gehen Gilles, der muskelbepackte Leo und der schusselige Admiral von Lumeij gegen die spanischen Truppen des Herzogs von Alba vor. Und das gelingt ihnen sogar ohne Zaubertrank. (adi)

 
Guillem March: Laura und andere Geschichten Laura und andere Geschichten (Guillem March, Cross Cult 2023, 104 S., HC, farbig)
Laura versucht das Scheitern ihres Wunsches nach einer Beziehung zu Marcos zu überwinden. Sie lässt sich hängen. Ihre Freundin Elena bemüht sich, Laura aus ihrer Passivität und Niedergeschlagenheit herauszuholen. Sie nimmt Laura mit zu einer Party, wo Laura auf Luis trifft. Damit beginnt der nächste komplizierte Abschnitt in Lauras Liebesleben. Ihr fällt ein, ein neues Leben als geheimnisvolle Blondine mit großer Sonnenbrille zu beginnen. – Dass Guillem March eine Vorliebe für Geschichten mit weiblichen Hauptfiguren hat, wurde bereits in seinem Buch "Karmen" oder seinem Beitrag zu "DC Celebration: Harley Quinn" klar. Im Zusatzmaterial dieses Bands, der außer "Laura" auch die Erzählungen "Irene" und "Muse" enthält, lässt March dafür als Grund in einem fiktiven Dialog mit Hayao Miyazaki erklären, dass er mangels anderer interessanter Inhalte sein Leben "zu insgeheim autobiographische Geschichten" verarbeite, aber sich dabei zur Täuschung der LeserInnen als weiblichen Charakter zeichne. Ob man dem mallorquinischen Zeichner, der auch für den spanischen "Playboy" arbeitete, diese kuriose Begründung abnimmt, liegt im Auge des Betrachters. (adi)

 
Jens Harder: BETA ...civilisations II BETA ...civilisations II (Jens Harder, Carlsen 2023, 368 S., HC, zweifarbig)
Jens Harder setzt die lange Bilderreise vom Urknall bis in die Neuzeit mit dem dritten Band seiner "großen Erzählung" unermüdlich fort, deren derzeit um die tausend Seiten er 2009 zu veröffentlichen begann. In einem Fernsehinterview der ARD anlässlich seiner Ausstellung "The Story of Planet A" in der Völklinger Hütte erwähnt Harder bereits einen geplanten vierten Band mit dem Titel "Gamma", der dann wohl unsere Zukunft zum Thema haben wird. Mit seinem "Bilderstrom" wolle er zeichnerisch ausbreiten und bündeln, was uns Menschen ausmacht. Seine Bildzusammenstellungen lassen sich zwar nicht wie ein Comic im engeren Sinne lesen (auch wenn die Reihe eine "Comic"-Trilogie genannt wird), aber sie regen mit Hilfe unseres kollektiven Bildgedächtnisses zu einer Gesamtschau der Erd- und Menschheitsgeschichte an, die in dieser Zeit des Anthropozäns immer bedeutsamer wird. Viele Bildseiten rufen in Erinnerung, wie grausam sich Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herrscher verhalten haben, wie sie aber durch Anpassungs- und Kommunikationsbereitschaft und durch ihre Neugier auch zu nutzbringenden Einsichten gelangten. Geschickt vermeidet es Harder, ein allzu nüchternes Geschichtsbuch entstehen zu lassen, indem er in Darstellungen aus der Vorzeit immer wieder Bildzitate aus dem Hier und Jetzt einfügt. Dadurch ist in seiner Bildergeschichte die Erwartung angelegt, dass die LeserInnen die Inhalte mit dem Heute in Verbindung bringen und ihre Schlüsse ziehen können. (adi)

 
Michael W. Conrad/Becky Cloonan/Emanuela Lupacchino/Eduardo Pansica et al.: Wonder Woman 4: Vier gegen Dr. Psycho Wonder Woman 4: Vier gegen Dr. Psycho (Michael W. Conrad/Becky Cloonan/Emanuela Lupacchino/Eduardo Pansica et al., Panini 2023, 180 S., SC, farbig)
Auch wenn dieser Band die Nummer 4 trägt, also als Fortsetzung in der mit "Infinite Frontier" überschriebenen Reihe verstanden werden könnte, so beginnt doch eine ganz neue Erzählung, die nicht in Asgard und der germanischen Götterwelt spielt. Die neue Geschichte setzt nach dem im "Kampf der Amazonen" beschriebenen Tod von Hippolyta an, der Amazonenkönigin und Mutter von Diana (aka Wonder Woman). Nubia hat Hippolytas Nachfolge angetreten und fordert Diana auf, zu ihren Aufgaben bei den Menschen zurückzukehren. Vorher ist allerdings noch zu klären, was es mit dem rätselhaften Altuum und seinem Unterseeboot auf sich hat, mit dem er in der Tiefe vor der Amazoneninsel Themyscira liegt. Das Lasso der Wahrheit macht dem Rätseln ein Ende. – In Washington erreicht Diana ihre Freunde Etta Candy und Steve Trevor. Aus Asgard, dem Sitz der nordischen Götter, schließt sich ihnen der legendäre Siegfried an. Sie wollen gegen Dr. Psycho (d.i. Dr. Edgar Cizko) vorgehen, der die schurkische Truppe "Villainy Incorporated" anführt, um gegen die Einmischung durch Amazonenfrauen und für die Übernahme der Weltherrschaft zu kämpfen. – Doch selbst als eine Amazone in Scherben liegt, ist dieser zugleich beziehungsreiche als auch klassisch einfach erzählte Comic noch nicht zuende, solange unklar ist, was die Milchfirma in die "Milk X-Tra" hineinrührt und wieso Cheetah/Barbara bei denen einsitzt. (adi)

 
Hanco Kolk: Spirou und Fantasio Spezial 40: Tulpen aus Istanbul Spirou und Fantasio Spezial 40: Tulpen aus Istanbul (Hanco Kolk, Carlsen 2023, 64 S., SC, farbig)
In einer Kutsche will der Ingenieur Lucas Trappist im Jahr 1960 eine Tulpenzwiebel von Istanbul zur Gartenbauausstellung "Floriade" nach Rotterdam bringen. Damit soll die vierhundert Jahre zuvor vom Diplomaten Ogier Ghislain de Busbecq durchgeführte Reise geehrt werden, mit der die erste Tulpenzwiebel nach Holland kam, ein Geschenk vom Sultan Süleyman. Doch was soll daran zu einem Abenteuer für Spirou und Fantasio taugen? Nun weiß man, spätestens seitdem Mawil seinen Lucky Luke mit dem Fahrrad den Wilden Westen durchqueren ließ, dass kuriose Fahrten, die nicht in die Zeit passen, für einen Abenteuerfunny sehr gut sein können. Und so ist es auch hier. Der Spionagetrubel, der sich um die Tulpen-Kutschfahrt herum abspielt, gehört dank vieler witziger Einfälle zu den sehr kurzweiligen Comics dieser Reihe an Spirou-und-Fantasio-Spezialalben. Den Ausdruck, den der Autor Hanco Kolk den allseits bekannten Figuren durch seinen Zeichenstil gibt, ist ungewöhnlich, was sich unter anderem in den Augenpartien zeigt. Einer der Agenten, Ljew Ljow vom KGB, kann seine Augenwirkung der jeweiligen Situation sogar sehr überzeugend anpassen. Q vom MI6 wäre erstaunt. (adi)

 
Stéphane Marchetti/Cyrille Pomès: 9.603 Kilometer - Zwei Kinder auf der Flucht 9.603 Kilometer - Zwei Kinder auf der Flucht (Stéphane Marchetti/Cyrille Pomès, Cross Cult 2023, 128 S., HC, farbig)
An jeder Grenze wartet auf sie ein Spießrutenlaufen. Die Landesgrenze zwischen Afghanistan und Iran überqueren der 12-jährige Adil und sein 14-jähriger Cousin Shafi nach langer Kletterei durchs Gebirge im Kugelhagel der Grenzpolizei. An der türkischen Grenze warten sie tagelang auf Schleuser, an der griechisch-mazedonischen Grenze werden nur Familien mit Kindern durchgelassen. Trotzdem schaffen sie es weiter durch Serbien und Ungarn, bis die beiden Jungen nacheinander im Herbst 2015 endlich im "Dschungel von Calais" ankommen, der Zeltstadt für Flüchtlinge, wo sie darauf hoffen, von England aufgenommen zu werden, weil dort Mohammed, Shafis Bruder, bereits wohnt und arbeitet. – Den zigtausend Kilometer langen Leidensweg der beiden Kinder, von dem diese Grafiknovelle erzählt, stellte der Autor aus den Erlebnissen zusammen, die er in Gesprächen mit jungen Flüchtlingen erfuhr und die Ergebnis seiner eingehenden Recherche sind. Selbstverständlich wird nicht nur die Flucht selbst beschrieben, sondern es werden auch die Gründe verdeutlicht, die diese Kinder von ihren Eltern weg ins ferne Europa treiben. Die Fundamentalisten hatten Adil schon in den Klauen. Jetzt fürchtet die ganze Familie das Schlimmste. (adi)

 
Emilia Clarke/Marguerite Bennett/Leila Leiz: Mother of Madness Mother of Madness (Emilia Clarke/Marguerite Bennett/Leila Leiz, Carlsen 2023, 160 S., HC, farbig)
Zwar erinnert die Autorin Emilia Clarke im Vorwort an ihre Rolle als Daenerys Targaryen in "Game of Thrones", aber in diesem Comic geht es weder um dieses Fantasy-Epos, noch um die Figur, die sie darin verkörpert. Vielmehr schlägt sie als Feministin eine ganz andere Richtung ein. Nicht Erlebnisse mit Drachenkindern und wilden Kriegerfürsten treiben sie als Comicautorin an, sondern Erlebnisse mit toxischer Männlichkeit in unserem (Büro-)Alltag, der sie etwas entgegensetzen möchte. Auf die Idee, einen Comic zu machen, sei sie auf einer ComicCon gekommen, wo sie begonnen habe, sich für Superhelden aus Comicverfilmungen zu interessieren ("Ich bin ein Superhelden-Fangirl.") Mit einem rein weiblichen Team entstand dann dieser Comic, in dem sie ihre Auffassung von Superheldentum einer Mutter deutlich werden lässt, von Maya, die ihren Sohn Billy alleine aufzieht, weil der Vater Harvey sich verkrümelt hat. Ihre Superkräfte sind an ihre Periode gekoppelt. Gegen Ende des unruhigen Text- und Bildspektakels dieses Buches hat sie diese Kräfte dann bei einem finalen Fight gegen eine böse Biochemikerin und "Möchtegern-M.O.M.-Fuckerin" samt ihrer Sicherheitsroboter bitter nötig. Denn merke: "Die perfekte Frau ist ein Schreckgespenst." (adi)

 
John Ridley/Giuseppe Camuncoli/Cam Smith: Batman - One Bad Day 3: Pinguin Batman - One Bad Day 3: Pinguin (John Ridley/Giuseppe Camuncoli/Cam Smith, Panini 2023, 76 S., HC, farbig)
Im dritten Band dieser Superschurkenreihe, die kürzlich Vertiefendes zum zwiespältigen Two-Face lieferte, steht dieses Mal ein Drama zu dem für gewöhnlich mit Schirm, Monokel und Zylinder agierenden Pinguin (d.i. Oswald Cobblepot) auf dem Spielplan. Aber in dieser Erzählung hat er außer seinem Monokel eingangs erst einmal gar nichts mehr. Alles ging an den brutalen Umbrella Man verloren. Doch mit einer Pistole, einer Patrone und der durchsetzungsfähigen Lili an seiner Seite glaubt er fest an den Wiederaufstieg in die Riege der wohlgelittenen Superschurken, denen selbst Batman einen gewissen kriminalpolitischen Nutzen abgewinnen könnte. Beim Rückkampf an die Spitze der Gothamer Schurkenszene beweist Oswald erstaunliche Nehmer- und Geberqualitäten (Zitat Umbrella Man: "uUuLLL... GGULLLHHH..."). Die kurzweilige Geschichte macht klar, dass selbst der Pinguin noch auf Freunde zählen kann, die ihn in der Not nicht im Stich lassen, wenngleich da auch ein möglicher Eigennutz oder Rache ihre Rolle spielen könnten. Sehr bezeichnend für den Pinguin ist seine Darstellung auf dem im Anhang abgedruckten Variantcover von Jim Lee. Der Pinguin gibt nicht einfach auf, sondern krempelt die Ärmel hoch. (adi)

 

April 2023


Stjepan Šejic: Fineprint 1 - Achte auf das Kleingedruckte Fineprint 1 - Achte auf das Kleingedruckte (Stjepan Šejic, Panini 2023, 176 S., HC, farbig)
Sie hat abgebissen. Lauren Thomas hält auf dem Titelbild den goldenen Apfel noch in der Hand, mit dem sie durch einen Biss hinein für Aufregung in der Götterwelt gesorgt hat. Sie beantragt damit einen Goldenen Vertrag, der bedeutet, dass sie ihre Liebe aufgibt und gegen Begehren eintauscht. Sie erwartet für sich einen ihr dienenden Gott der Begierde. Wie man auf dem Cover sieht, stehen dazu seltsamerweise gleich zwei Wesen bereit. Wie bei ihren unglücklichen Lieben zu Mathew und Sam scheint da schon wieder etwas nicht recht zu klappen. Hoffentlich hat Lauren wenigstens das Kleingedruckte ihres Vertrags gelesen. – Dass dieser Erotikcomic von Stjepan Šejic gezeichnet wurde, erkennt man gleich, wenn man sich an das Buch "Harleen" oder an seinen Beitrag zu "DC Celebration: Harley Quinn" erinnert. Šejics Zeichnungen von Frauen- und Männerfiguren lassen sich nicht so einfach vergessen. Šejic bedient sich in seiner Erzählung über Liebe und Begierde am Volksglauben über die verführerischen Fertigkeiten von Succubus- und Incubus-Dämonen und setzt Gestalten aus der griechischen und römischen Mythologie ein (Hades, Alekto, Hekate, Cupido, Hermes). Für einen Erotiktitel mag dabei nicht ungewöhnlich sein, dass sich auch der Höllenfürst die Moralpredigt einer Ex-Rachegöttin gar nicht zu Herzen nimmt. (adi)

 
Brenna Thummler: Sheets - Am Ende bleibt uns nur ein Bettlaken Sheets - Am Ende bleibt uns nur ein Bettlaken (Brenna Thummler, CroCu 2022, 240 S., SC, farbig)
Der höchst unsympathische Mr. Saubertuck gibt sich als "vermögender und respektierter" Geschäftsmann aus. Er will das Haus mit dem Waschsalon der Familie Glatt in ein Yoga-Quartier umwandeln. Er macht dazu der Familie ein unlauteres Übernahmeangebot. Marjorie Glatt, die dreizehnjährige Tochter der Familie, hält seit dem Tod der Mutter auf sich allein gestellt den Waschsalon am Laufen. Ihr antriebsloser, untätiger Vater und ihr kleiner Bruder Owen können ihr nicht helfen. In Erinnerung an ihre Mutter, der der Waschsalon viel bedeutete, lehnt sie Saubertucks Angebot ab. Der greift infolgedessen zu sehr unsauberen Mitteln, um sich das Haus anzueignen. – Zur gleichen Zeit lebt der Geist Wendell in seinem Gesprächskreis toter Kinder seine kindliche Fantasie aus. Das Bettlaken, welches ihn umhüllt, könnte eine Wäsche mit Geisterklar vertragen, einer Art Geistershampoo, das Flecken entfernt. "Laken sind nicht wie Haut", wird ihm verdeutlicht, und die LeserInnen dieser geistreichen Geschichte erfahren das in einigen kuriosen Situationen der Erzählung des Öfteren. – Die Autorin bringt die Welten der nie lächelnden Marjorie und des neugierigen Wendell in einer Weise zusammen, dass sich der Ernst der Lage der Familie Glatt nicht wie eine Tragödie anfühlt, sondern sich mit gespenstischen Mitteln wegzuwaschen beginnt. (adi)

 
Chip Zdarsky/Carmine Di Giandomenico: Batman - Die Reise 2 Batman - Die Reise 2 (Chip Zdarsky/Carmine Di Giandomenico, Panini 2023, 164 S., SC, farbig)
Die Reise, die Bruce Wayne bereits nach Frankreich, Nordkorea und Russland führte (siehe "Batman - Reise 1"), bringt ihn nun bis in die Wälder Kanadas. Dort im Norden geht es um ein Schießtraining bei Luka Jungo, dem besten Schützen der Welt. Anton schließt sich diesem Ausbildungsgang an, was Bruce Wayne ohne Argwohn akzeptiert, da sich Anton bisher als guter Freund gezeigt hat. Das wird Bruce noch bereuen. Seine Reise setzt er jedoch wie geplant fort. In New York geht er beim Magier Giovanni Zatara in die Lehre und spürt dabei gewisse Grenzen auf, die er sich vorsichtshalber auferlegt. Um sich mentale Stärke anzutrainieren, bittet Bruce den überaus selbstsicheren Dr. Daniel Captio, aus ihm einen Dunklen Ritter zu machen. Der Aufenthalt bei Captio endet mit einer heftigen Auseinandersetzung, in deren Folge Bruce Ra's Al Ghul aufsucht, um bei jenem "Weltverbesserer" in der Wüste bei Dubai seine Ausbildung zu vervollkommnen und zudem außergewöhnliche Selbstheilungskräfte zu entwickeln. Natürlich trifft Bruce dabei auch auf dessen Tochter Talia. Wer nun aber eine große Romanze erwartet, wird stattdessen mit einem großen Knall an den eigentlichen Zweck der Reise des werdenden Batmans erinnert. Gut, dass die Geschichte Überraschungsmomente bereithält. (adi)

 
Michael Mikolajczak: Irrlicht Irrlicht (Michael Mikolajczak, Kult Comics 2023, 120 S., HC, schwarzweiß)
"Ich hab ein Recht darauf, mich an Anna zu erinnern! [...] Ich soll neu anfangen? Anna vergessen? Du meinst, ich habe die Wahl? [...] Der Mensch hat keinen freien Willen." In einem langen Dialog, der nur durch fotographische Bilder zur Eingeschränktheit und Tristesse seiner Innenwelt begleitet wird, durchlebt der Erzähler wieder und wieder ein offenbar gewaltsames Ende seiner Beziehung zu seiner Anna. Zwar lässt sich seinen irrlichternden Gedanken nicht verlässlich entnehmen, was wirklich geschehen ist, aber den LeserInnen wird von den gedanklichen und wohl auch halluzinatorischen Vorstellungen der Hauptfigur ein bleibender Eindruck vermittelt. Er gibt an, bis zu seiner Suspendierung Polizist gewesen zu sein, weswegen Anna Zugriff auf seine Dienstwaffe hatte. Da er bezweifelt, einen freien Willen zu haben, sind für ihn die folgenden Taten also etwas Zwangsläufiges, ob sie nun wirklich passiert sind oder nicht. – Der Text-Bild-Wechsel dieses Buches erinnert entfernt an durchgehend illustrierte Romane oder an Fotogeschichten, sind jedenfalls keiner üblichen Gestalt von Grafiknovellen zuzuordnen. Dieses Mal hat sich Mikolajczak ohne Zeichner an die Umsetzung einer seiner psychologisch fesselnden Geschichten gemacht (siehe auch "Der Vampir von Düsseldorf" oder "Der Sandmann"). (adi)

 
Zidrou/Jordi Lafebre: Wundervolle Sommer 4: Die Zuflucht des KriegersZidrou/Jordi Lafebre: Wundervolle Sommer 5: Der Ausreißer Wundervolle Sommer 4: Die Zuflucht des Kriegers - 1980 (Zidrou/Jordi Lafebre, Salleck 2023, 56 S., HC, farbig)
Wundervolle Sommer 5: Der Ausreißer - 1979 (Zidrou/Jordi Lafebre, Salleck 2023, 56 S., HC, farbig)
In gleich zwei Bänden finden die mit viel Humor gemachten, angenehm anrührenden Erzählungen über die Urlaubsreisen der Familie von Madeleine und Pierre Faldérault ihre Fortsetzungen. Schon bei den ersten drei Bänden gingen die Autoren in der zeitlichen Anordnung der Geschehnisse "rückwärts" vor, erzählten erst von der Familie und vom Urlaub 1973, dann von 1969 und schließlich von 1962. Damit einem der damit einhergehende besondere Reiz dieser geschickten erzählerischen Anreihung nicht entgeht, wäre es gut, jetzt auch erst Band 4 (1980) und danach Band 5 (1979) zu lesen. In ausdrucksstarken Zeichnungen erfährt man auf diese Weise zunächst von der Fahrt mit dem alten roten R4 zum "schlüsselfertigen" Sommerhaus im sonnigen Süden. Zu Urlaubsbeginn muss Pierre (wie immer) zu Hause noch einige Tage bleiben, um als professioneller Comiczeichner einen Auftrag zu erledigen. Tochter Julie übernimmt das Steuer. Im folgenden Band geht es ein Jahr zurück, ein Jahr, in dem Pierre die Übernahme der offenbar üblen Comicserie "Zagor" angeboten wird und Madeleine ihren Job im Schuhladen so richtig satt hat. Auch wenn der Serientitel wundervolle Sommerurlaube verspricht, so treibt es die Familie in dieser Zeit im Winter in den Süden. Doch sie haben die Rechnung ohne ihren Sohn Louis gemacht, der viel lieber zu einem Pink-Floyd-Konzert nach London fahren möchte. Ob es wohl auch diesmal zu einem versöhnlichen Ende mit Monsieur Mayo an der Pommesbude kommt? (adi)

 
G. Willow Wilson/Dani/Marcio Takara et al.: Poison Ivy - Metamorphose 1 Poison Ivy - Metamorphose 1 (G. Willow Wilson/Dani/Marcio Takara et al., Panini 2023, 164 S., SC, farbig)
Im Grunde leidet Poison Ivy (d.i. Dr. Pamela Lillian Isley) an zwei Dingen. Zum einen geht ihr die Trennung von Harley Quinn sehr nah, zum anderen empfindet sie das Ergebnis der in ihr abgelaufenen Zusammenführung zweier Ivy-Identitäten als Verlust, die Verschmelzung ihrer Inkarnationen einer herrischen und einer naiven Ivy-Seite. Auch wenn das in einer der vorangegangenen Episoden die Rettung war, so wirft sie ihrer Ex-Freundin Dr. Bella Garten nun vor, dadurch ihre Fähigkeiten verringert zu haben. Sie bäumt sich auf. Sie will erreichen, dass sich die untergehende Natur doch noch gegen die Menschheit durchsetzen kann, wozu sie Ophiocordyceps lamia einsetzt, ein Pilz, keine Pflanze, hinsichtlich der öko-terroristischen Absichten von Poison Ivy ein sehr geeignetes Mittel. Ihre eigene körperliche Natur kann sich gegen den Pilz zwar (noch) durchsetzen, aber die nächste Rinderherde und einige vorbeikommende Leute werden mitleidlos vergammeln. – Angesichts ihrer grausigen Taten fragt man sich einmal mehr, ob und warum man eigentlich irgendwelche Sympathien mit einer solchen Superschurkin entwickeln kann. Motivation für den Lesenden könnte die Lust sein, ihren unweigerlich folgenden Untergang mitzuerleben. Vielleicht hilft bei der Suche nach der Antwort auch, was Poison Ivy selbst dazu aufgeschrieben hat: "Aber man muss wirklich gut sein, um so böse zu sein." (adi)

 
Bettina Schary: Die zweite Entdeckung der Welt: Alexander von Humboldts Expedition nach Südamerika Die zweite Entdeckung der Welt - Alexander von Humboldts Expedition nach Südamerika (Bettina Schary, Knesebeck 2023, 96 S., HC, schwarzweiß und farbig)
Seine Erkenntnisse bezüglich der Wechselwirkungsvorgänge in der Natur und andere Ergebnisse seiner Südamerika-Expedition von 1799 bis 1804 sind für uns bis heute bedeutsam. Alexander von Humboldts Wesenszüge, seinen unerschütterlicher Forscherdrang und seine Akribie vermittelt uns die Autorin Bettina Schary nicht mit allzu nüchternem Ernst, sondern sie bettet die auf seinen Aufzeichnungen beruhenden Szenen in eine mit Späßen aufgelockerte Darstellung ein, wie schon das Titelbild verrät. Da liegen Sextant und Kompass neben Laptop und Smartphone. Im Umfeld von Alexander von Humboldt und seinem Freund Aimé Bonpland gibt es unverhofft WLAN, Twitter und Talkshows. Dass sich Humboldt und Bonpland dann aber in Ecuador auf einer Bahre über die Berge tragen lassen, sollte man nicht missverstehen. Sie schaffen es trotz gefährlicher Klettertouren doch sehr lebendig noch bis zu Thomas Jefferson in die Vereinigten Staaten und zurück nach Paris. – Zeichnerisch bedient sich Schary in diesem Buch eines Stils zwischen Illustration und Karikatur, sparsam in der Gestaltung von Hintergründen, mit Farben gelegentlich Akzente setzend, dem Sujet stets angemessen. (adi)

 
Christian Godard/Julia Ribera: Der Vagabund der Unendlichkeit 1: Zum unmöglichen Stern Der Vagabund der Unendlichkeit 1: Zum unmöglichen Stern (Christian Godard/Julio Ribera, Kult Comics 2023, 232 S., HC, farbig)
Endlich bekommt Axle Munshine den Auftritt, den der einem Traum nachjagende Ex-Chefdiplomat von Xylos verdient. Nach der verworrenen Veröffentlichungsgeschichte, die diese SciFi-Serie in Deutschland erlebte und die am Beginn dieses ersten Sammelbands im Einzelnen beschrieben wird, beginnt nun eine zeitlich geordnete (Wieder-)Veröffentlichung aller Alben mit der Übersetzung durch Klaus Jöken. Der wird an den Fachbegriffen in den 6- bis 8-seitigen Fantasie-Dossiers, mit denen die Bände eingeleitet werden, seine Freude gehabt haben, in denen es Progerulatoren, Verhütungsabsauger, den Killer von Biläfeld gibt und in denen die Horch Fogh gegen die Unkleubigen aufkreuzt, die Freifrau Bellegug von Baudrock im katachflixen Koma liegt und der Münch Gärst'n Khorn in andere Welten wechselt. – Wie die Raum-Zeit-Agenten Valerian und Veronique in fernen Ecken des Universums auf uns ungewöhnlich erscheinende Wesen treffen, so geht es Axle nicht viel anders. Zur Unterscheidung von der Serie von Christin/Mézières sind für die Inhalte der Alben von Godard/Ribera mehrere Einfälle kennzeichnend: Axle Munshine wird von den Regierungstruppen gejagt, weil er gegen das Gebot verstieß, nicht in die Traumwelt einzudringen. Dahin möchte die Titelfigur aber unbedingt, weil er dort Shimere zu finden hofft. Diese Traumfrau könnte eine Chimäre sein, aber Axle geht davon aus, dass die Traumwelt wirklich existiert und man im Schlaf von dort Bilder zugesandt bekommt. Das erinnert an jemanden, der im Metaversum Realitäten zu erkennen glaubt. Erschafft schon diese ergiebige Erzählidee den roten Faden durch eine Vielfalt fantastischer Abenteuer, so bildet der Einsatz der Figur des/der Musky einen weiteren Pluspunkt der Serie. Musky ist EternautIn, die/der zurzeit im Körper eines 13-jährigen Jungen steckt. EternautInnen können ihre körperliche Entwicklung verzögern und sich erst dann für ein Geschlecht entscheiden, wenn sie die Zeit für gekommen halten. Da bahnt sich für Axle wohl in naher Zukunft eine Überraschung an. (adi)

 
Neil Gaiman/Fábio Moon/Gabriel Bá: Wie man auf Partys Mädels ansprichtNeil Gaiman/P. Craig Russell/Scott Hampton/Paul Chadwick: Das Susan-Problem und andere Geschichten Wie man auf Partys Mädels anspricht (Neil Gaiman/Fábio Moon/Gabriel Bá, Dantes Verlag 2022, 68 S., HC, farbig)
Das Susan-Problem und andere Geschichten (Neil Gaiman/P. Craig Russell/Scott Hampton/Paul Chadwick, Dantes Verlag 2021, 84 S., HC, farbig)
Diese Reihe an Comic-Adaptionen von Geschichten aus der Feder des hochgelobten Autoren Neil Gaiman ist mittlerweile beim fünften Band angekommen. Von den Gaiman'schen Erzählwelten ist man gewohnt, dass er sie mit ungewöhnlichen oder für uns auch rätselhaften Figuren füllt. Im vierten Band begegnet man (schon auf dem Titelbild) dem Löwen und der Weißen Hexe aus "Der König von Narnia" von C. S. Lewis. Gaiman verknüpft Motive aus dessen Fantasy-Romanen mit Schilderungen traumatischer Erlebnisse aus der Kindheit einer Professorin. Doch wie geläufig sind dem Lesenden dazu die Figuren aus diesem Narnia? Sehr hilfreich sind daher zur Ausdeutung der Geschichten die Anmerkungen, die Jens R. Nielsen in den Anhängen der Bücher jeweils ins Einzelne gehend zusammenstellt. Im neuesten Band begleitet er uns durch ein London, in dem die Jugendlichen Vic und Enn zu einer Party gehen, um dort Mädchen kennenzulernen. Vic findet gleich Kontakt zur bezaubernden Stella, während der zurückhaltende Enn erst mehrere Anläufe nehmen muss, bis er mit einer der seltsamen jungen Frauen ins Gespräch kommt. Immerhin muss er nicht die ganze Zeit in der Küche verbringen und mit einer Mutter reden. Aber irgendetwas stimmt nicht mit den Mädchen, mit denen er ins Gespräch zu kommen versucht. Sie klingen wie Cousinen von Olympia aus Hoffmanns Erzählungen. Aber Enn fällt's nicht auf. Er findet alle faszinierend. (adi)

 
Timothé Le Boucher: Jene Tage, die verschwinden Jene Tage, die verschwinden (Timothé Le Boucher, Cross Cult 2023, 192 S., HC, farbig)
Dass man gelegentlich einen Aussetzer hat und sich an die letzte Nacht nicht mehr erinnert, das allein mag noch nicht beunruhigend sein. Doch Lubin Maréchal muss feststellen, dass er nur noch jeden zweiten Tag bewusst wahrnimmt. Von den Erlebnissen der jeweiligen Vortage befindet sich in seinem Gedächtnis keine Spur. Die Tage verschwinden. Seine Freunde vermuten eine Nachwirkung von einem Sturz, der ihm bei einer akrobatischen Übung passierte. Aber das erklärt es nicht. Schon bald bemerkt Lubin, dass in diesen Zwischentagen ein anderes Ich seinen Körper übernimmt. Als er mit seinem Vortages-Ich per Laptop zu kommunizieren beginnt, nimmt seine Identitätsspaltung skurrile Züge an. Wenn beispielsweise die beiden Ichs am Morgen jeweils neben der Freundin des anderen Ichs aufwachen, dann werden die Beziehungen zwischen allen Beteiligten anstrengend. Hier schafft es der Autor, sich ein ungewöhnliches Verhältnis insbesondere zur rothaarigen Tamara stimmig entwickeln zu lassen, das durch immer längere Absenzen des wahren Lubin einiges auszuhalten hat. Die gut gebaute Erzählung gewinnt an Spannung nicht nur durch die Auseinandersetzungen zwischen Lubin und seinem gegensätzlichen, ehrgeizigen anderen Ich, sondern auch durch die Entwicklung der Beziehung zu seiner Familie und seinen Freunden. Diese stellen sich auf ihn ein. Nur sein Chef schmeißt ihn sogleich raus. (adi)

 
P. Craig Russell/Patrick Mason: Der Ring des Nibelungen Richard Wagners Der Ring des Nibelungen (P. Craig Russell/Patrick Mason, Cross Cult 2023, 448 S., HC, farbig)
Eine überzeugende Adaption der von Richard Wagner in vier Opern erzählten Version der Nibelungensage ist P. Craig Russell gelungen. Sehr erfreulich, dass man diese Heldensage nun in der Gestalt eines Fantasycomics lesen kann, der sowohl zeichnerisch als auch textlich der vierbändigen Adaption von Numa Sadoul und France Renoncé aus den 1980er Jahren haushoch überlegen ist. Gekonnt weiß Russell durch seine Bildsprache die LeserInnen an die Handlung zu fesseln und Andeutungen zu geben, die herausfordernd die Erzählgegenstände betonen. Die Texte zeigen Respekt vor dem Original ("Heil dir, Brünnhilde, herrlicher Stern!"), sind aber auf die nötigen Kurzfassungen gebracht, um die Bilder nicht zu ertränken. So findet man sich in einer lebendig erzählten, langen und fesselnden Geschichte wieder. Und all das ohne Gesänge vom Heldentenor, ohne Walkürengetöse, ohne wehtriefende Arien mit Bombastmusik und ohne das endlose Sprachgeschwurbel der von Liebespein zerrissenen Hauptfiguren. Es ist angenehm still, Bilder sagen mehr als tausend Töne. Übrigens klärt sich weiter hinten im seitenstarken Comic auch die anfangs gezeigte Szene auf, in der der junge Wotan für einen Ast der Weltenesche mit einem Auge bezahlt. Am Ende fügen sich alle Erzählfäden schlüssig zusammen, was zumindest die Rheintöchter freut. (adi)

 
Sylvain Runberg/Gabriel Germain: Watchdogs Legion Watchdogs - Legion (Sylvain Runberg/Gabriel Germain, Cross Cult 2023, 128 S., HC, farbig)
Mit einer schlüssig aufgebauten, spannenden Erzählung über die Absichten sehr gegensätzlich operierender Organisationen in einer zukünftigen Welt setzen die Autoren ein bekanntes Action-Adventure gleichen Titels in einen Comic um. Nicht wie im Computerspiel nach Chicago, sondern in ein Lager von Abschiebehäftlingen, dem Kennington Oval Camp, nach London führt der beeindruckend gezeichnete Comic. Dort arbeitet eine NGO namens Help for Deportees und versorgt die Eingesperrten mit Kleidung und Essen. Vorbildlich lernt man im Einführungsteil der Geschichte deren Hauptfiguren kennen, ohne dass etwas vorweggenommen wird, das an einen späteren, einen besseren Platz gehört. Mit dem DJ Adam Logan, dem zwielichtigen Kris, mit Louise, der australischen Aktivistin, und Jess, der Softwareentwicklerin, lernt man zunächst vier der Hauptfiguren kennen, die sich später in einer Gruppe von sieben recht verschieden motivierten Leuten (siehe Titelbild) für die Widerstandsbewegung DedSec einsetzen. Mächtige und verbrecherische Gruppen verfolgen mit den Menschen des Lagers eigene Pläne. DedSec wird mit seinen IT-Ressourcen und den Insekten-, Spinnen- und anderen Drohnen hoffentlich dagegenhalten können. (adi)

 
Willi Blöss: Comic-Biografie 40: Yayoi Kusawa - DottyWilli Blöss: Comic-Biografie 41: Caspar David Friedrich - Allein Comic-Biografie 40: Yayoi Kusama - Dotty (Willi Blöss 2022, 32 S., Heft, farbig)
Comic-Biografie 41: Caspar David Friedrich - Allein (Willi Blöss 2023, 32 S., Heft, farbig)
Nach einem halluzinatorischen Erlebnis wegen ihrer streitenden Eltern "überzog die 10-Jährige ihr Porträt der Mutter mit einem Punktmuster. Als wollte sie sie auflösen." Der Punkt spielt im künstlerischen Schaffen von Yayoi Kusama eine bedeutende Rolle, weil sie damit das jeweilige Objekt mit seiner Umgebung verschmelzen kann. "Yayois Punkte, mit denen sie Menschen und Tiere dekorierte, wurden 'Polka dots' genannt" und ihr Spitzname sei also "Dotty" gewesen, daher der Untertitel dieser neuen Comic-Biografie aus der Aachener Biografienschmiede. Ihr Einsatz von Punkten unterscheidet sich somit konzeptionell von den Rasterpunkten eines Roy Lichtenstein ("Oh, Jeff… I love you too…") und hat mit dem Pointillismus schon gar nichts zu tun. Yayoi zeigt eine ganz eigene Welt an Kunst. – Über Caspar David Friedrich gab es zwar schon in einer früheren Comic-Biografie unter der Überschrift "Romantik" zu lesen und zu sehen, doch nun ist ihm ein ganzes Heft gewidmet. Mit den beiden Zeilen "Um die Menschen nicht zu hassen, muss ich den Umgang unterlassen." eines kurzen Gedichts von Friedrich wird treffend in das eher von Nachdenklichkeit und Tristesse zeugende Werk eines großartigen Malers kompetent eingeführt. Das Motiv der Rückenfigur in "Der Wanderer über dem Nebelmeer" macht auch in der Comiclandschaft die Runde, zum Beispiel in einem Gemälde der Duckomenta oder im erweiterten Sinne im 1951 entstandenen "Der Käse von Kirkebö" von Carl Barks. (adi)

 
Mariko Tamaki/Javier Fernandez: Batman - One Bad Day 2: Two-Face Batman - One Bad Day 2: Two-Face (Mariko Tamaki/Javier Fernandez, Panini 2023, 76 S., HC, farbig)
"Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust", klagte seinerzeit Faust im Vers 1112. Geradezu als Symbol für einen seelischen und körperlichen Zwiespalt steht Harvey Dent, der in seinen guten Tagen für das ehrwürdige Amt eines Bezirksstaatsanwalts in Gotham City arbeitet, der in bösen Tagen als zwiegesichtiger Two-Face einen rücksichtslosen Superschurken verkörpert, für den ein Menschenleben keinen großen Wert besitzt. Dass Batman selbstredend und seinem edlen Charakter folgend fest an das Gute im Menschen glaubt, erklärt, warum er sich bereit findet, Harvey Dent zu helfen, als dessen 88-jähriger Vater mit dem Tode bedroht wird. Doch Stephanie Brown, eines der an diesem Fall beteiligten Batgirls, seufzt: "Ich hasse es, wenn Schurken nicht nur Schurken sind." Was soll man auch machen, wenn jemand gleichzeitig Freund und Feind ist? Eine Münze werfen? – Wie im ersten Band über den Riddler in dieser Superschurkenreihe erhalten die LeserInnen eine ganz eigenständige Erzählung aus dem Batman-Universum, die weniger den dunklen Ritter, als vielmehr die schurkischen Figuren in den Mittelpunkt stellt. Auf der Geburtstagsparty seines Vaters muss Harvey Dent nun sein wahres Gesicht zeigen. (adi)

 

März 2023


Étienne Davodeau: Das Recht der Erde Das Recht der Erde - Eine Erzählung über den Boden, der uns trägt (Étienne Davodeau, Carlsen 2023, 216 S., HC, schwarzweiß)
Der Autor spannt in diesem Bericht über seine Wanderung von der Höhle Pech Merle in Okzitanien nach Bure in Lothringen einen weiten Bogen von der steinzeitlichen Zeichnung eines Mammuts bis hin zum geplanten Atommülllager in Bure. Der dazwischen liegende zeitliche Abstand lädt zu einem Vergleich der Hinterlassenschaften der Steinzeitmenschen mit denen der heutigen Menschen ein, die ihren radioaktiven Müll "unter den Teppich kehren" beziehungweise "alles in Löcher werfen", wie es der Nuklearwissenschaftler Bernard Laponche in diesem Reportagecomic ausdrückt: In einem Lagerraum in 500 m Tiefe werden die Nuklearabfälle hunderttausende Jahre lang gefährlich strahlen. Gut zu überwachende Belüftungsschächte sollen Gase ins Freie führen, damit nichts explodiert, wie Laponche erklärt. Den deutschen Ausstieg aus der Atomenergie findet er richtig. – Die 800 Kilometer lange Wanderung, die Étienne Davodeau aufgezeichnet hat, dient ihm einerseits dazu, den Inhalt seiner zu verschiedenen Aspekten geführten Gespräche mit Fachleuten und Aktivisten wiederzugeben, was an die Vorgänge rund um Gorleben erinnert, aber auch deutlich zu machen, was wir an Wertvollem an unserer Erde, ihrem Boden und ihrer Natur haben. (adi)

 
Cliff Chiang: Catwoman: Lonely City 2 Catwoman: Lonely City 2 (Cliff Chiang, Panini 2023, 108 S., HC, farbig)
Die ungewöhnliche Catwoman-Erzählung, die bereits im ersten Band viele Wandlungen der älter gewordenen Selina Kyle (Catwoman) und ihres Umfelds aufzeigte, setzt sich zur Freude der womöglich ebenfalls älter gewordenen LeserInnen wie zu erwarten fort. Das heißt, dass Selina mit Killer Croc, Poison Ivy, dem Riddler und dessen Tochter Edie und mit dem Computerexperten Winston ihre Bemühungen fortsetzt, der letzten Aufforderung nachzukommen, die sie vom sterbenden Batman erhielt. Sie sollte in die Bat-Höhle zu "Orpheus". Was es damit auf sich haben könnte, ist selbst dem Riddler (d.i. Edward "Eddie" Nigma) ein Rätsel. Zwischenzeitlich bemüht sich Barbara Gordon ihre Chancen auf die Wahl zur Bürgermeisterin von Gotham City gegen Harvey Dent zu verbessern. Dent setzt auf Polizeigewalt, um den Einwohnern der Stadt ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Dazu wäre es ihm ganz recht, wenn er Selina als Leiche oder wieder im Gefängnis hätte. Es kommt zum Gefecht. Es gibt Verluste. Gegen die geballte Macht der Ordnungstruppen des Rathauses kommen selbst ausgefuchste SuperschurkInnen nicht ohne spezialbegabte Mitstreiter an. (adi)

 
Stéphen Desberg/Luigi Critone: Der Skorpion 14: Das Grab eines Gottes Der Skorpion 14: Das Grab eines Gottes (Stéphen Desberg/Luigi Critone, Carlsen 2023, 48 S., SC, farbig)
Angeschossen von seiner Ex-Geliebten Ansea Latal, hatte sich der Skorpion (d.i. Armando Trebaldi) auf ein Schiff retten können, das ihn von Italien nach Kleinasien brachte. Nachdem sein Sohn, den er mit Marie-Ange de Sarlat hatte, getötet worden war, begann er in Konstantinopel die Suche nach seinem anderen Kind, das aus einer Liebschaft mit der Giftmischerin Mejai hervorging. Mejai mordet mittlerweile für El-Kabar, einen mächtigen Kaufmann aus Kairo. Der Skorpion trifft in Konstantinopel auf eine faszinierende Frau, eine Sabbatianerin, die seine Fähigkeiten als Archäologe benötigt, da sie in Luxor nach einer wichtigen Inschrift in einer verborgenen Grabkammer des Pharaos Echnaton sucht. Der Skorpion kommt ihrem Wunsch nach und hofft, in der Grabkammer so viele Schätze zu finden, dass er damit sein Kind befreien kann. Doch andere Menschen haben ebenfalls ein Interesse am Inhalt der Grabkammer, unter anderem Ivrahim Golam, der alle Spuren vernichten will, die dem Gründungsmythos seiner Glaubensgemeinschaft widersprechen. – Wie in einer spannenden Mischung aus den Abenteuern eines Indiana Jones', eines d'Artagnans und Casanovas sucht der Skorpion im Widerstreit vieler Absichten einen Ausweg aus einer sehr verzwickten Lage. (adi)

 
Paul Dini/Jimmy Palmiotti/Stephanie Philipps/Guillem March et al.: DC Celebration: Harley Quinn DC Celebration: Harley Quinn (Paul Dini/Jimmy Palmiotti/Stephanie Philipps/Guillem March et al., Panini 2023, 116 S., HC, farbig)
In der abwechslungsreich zusammengestellten Buchreihe um Figuren aus dem DC-Universum, wird dieses Mal Harley Quinn gewürdigt und gefeiert. Zur ehemals als Joker-Psychotherapeutin tätigen Dr. Harleen Quinzel sind in letzter Zeit auffällig viele besondere Comics herausgekommen, zum Beispiel "Harleen" von Stjepan Šejić oder "Harley Quinn: schwarz, weiß und rot" von Paul Dini, Amanda Conner u.a. Diese AutorInnen und ZeichnerInnen sind auch hier dabei, wenn es um ein Panorama zu Leben und Werk der schlagkräftigen Ex-Joker-Geliebten geht. Offensichtlich ist also die schelmische Harlekin-Frau bei Comic-LeserInnen beliebt. Auch dieses Mal spielt sie ihre Streiche: Dem braven und altgedienten Batman-Hausangestellten Alfred Pennyworth bleibt fast das Herz stehen, als er sie neben sich im Bett liegend vorfindet. Bei der von ihr organisierten, ausufernden Einweihungsparty für die neue gemeinsame Wohnung mit Poison Ivy (d.i. Pamela Lillian Isley) und Catwoman (d.i. Selina Kyle) springt eine fiese, kleine Überraschung aus der Torte. Der Pinguin (d.i. Oswald Chesterfield Cobblepot) muss darunter leiden, dass ihre Mitbewohnerinnnen etwas gegen Harleys Unterwürfigkeit dem Joker gegenüber unternehmen. – Die brillanten Fertigkeiten vieler Harley-ZeichnerInnen werden auch an den beeindruckenden Cover-Illustrationen im Anhang des Buches deutlich. (adi)

 
Marjorie Liu/Sana Takeda: Monstress 7: Verschlinger Monstress 7: Verschlinger (Marjorie Liu/Sana Takeda, Cross Cult 2023, 160 S., SC, farbig)
Ausgerechnet die geliebte Tuya bohrte einen giftigen Stachel in Maika Halbwolf. Damit mussten sich die LeserInnen am Ende von Band "Monstress 6" ungläubig abfinden. Ausgerechnet zu einer Zeit, in der Maika durch ihre Verwandlung Oberwasser zu erhalten schien, wird sie an machthungriges Gesindel verraten. Im verwirrenden Ränkespiel der verschiedenen Höfe und Kriegsparteien führt dieser Schachzug zum Transport von Maika mitsamt ihrer GefährtInnen zum Hof der Abenddämmerung, wo sich Krom, eine Schlange mit langen, spitzen Zähnen, in die Halbwölfin verbeißen will. Das Fuchsmädchen Kippa setzt sich ausdauernd und so gut sie es vermag für Maika ein. Der Krähenmann Corvin bleibt ebenfalls nicht untätig. – Die Zeichnerin dieses Fantasy-Spektakels erhielt für ihre Arbeit an "Monstress" zweimal, 2018 und 2022, den Eisner-Award als "Best Painter/Digital Artist". In gleich drei aufeinanderfolgenden Jahren ging der Hugo-Award "Best Graphic Story" an die ersten drei Bände von "Monstress" (2017, 2018 und 2019). Die Erzählung mit ihren zahlreichen und ungewöhnlichen Figuren ist bereits über tausend Seiten lang, deren Lektüre noch kein gutes Ende für Maika erkennen lässt. Sie sieht tatsächlich wie am Boden zerstört aus. (adi)

 
Sherri L. Smith/Agustin Padilla/Miguel Ángel Ruiz: Avatar - Das Blut von Pandora 3 Avatar - Das Blut von Pandora 3 (Sherri L. Smith/Agustin Padilla/Miguel Ángel Ruiz, Panini 2023, 92 S., SC, farbig)
Jake Sully und Neytiri hat es beim Angriff der Na'vi auf die Raumschiffe der brutalen Bergbaufirma RDA (siehe Das Blut von Pandora 2) ins All geschleudert. Die RDA-Truppen setzen erbarmungslos zum Gegenangriff unter Generalin Ardmore an. Die Devise lautet: "Was blau ist, stirbt!" Die Kinder L'oak, Kiri und Tuktirey von Jake und Neytiri sind durch ihre Eigensinnigkeit in die Hände von RDA-Sympathisanten geraten. Doch mit Hilfe ihres weißen Stiefbruders Miles "Spider" Soccoro können sie sich aus dem Biolabor befreien und weglaufen. Eine seitenlange Flucht vor der überlegenen Technik der RDA (Exoskelette, Spürbots) beginnt (> 70 Seiten, BUDDA- BUDDA- BUDDA!), in der ihnen ihre Eltern, Freunde und Verbündeten zu Hilfe eilen und den Aggressoren mit Pfeil und Bogen und mit Steinen große Verluste zufügen (KA-DOOM! YIIIIP!). Wohin das Ganze führt, ist klar, denn diese drei Comicbände sollen eine inhaltliche Verbindung zwischen dem Avatar-Film von 2009 ("Aufbruch nach Pandora") und dem zweiten von 2022 ("The Way of Water") herstellen. Der Weg endet also im Wasser. (adi)

 
Abitan/Guerrive/Schwartz: Spirou und Fantasio 54: Der Tod von Spirou Spirou und Fantasio 54: Der Tod von Spirou (Benjamin Abitan/Sophie Guérrive/Olivier Schwartz, Carlsen 2023, 56 S., SC, farbig)
Über sechs lange Jahre musste man auf die Fortsetzung von "Spirou und Fantasio" warten und dann ein Paukenschlag: Das neue Album titelt mit dem Tod von Spirou, dem braven Helden unseres comicabenteuerlichen Lebens, dem tapferen Burschen im Kampf gegen Diktatoren und Ganoven, dem ehrbaren Hotelpagen mit Eichhörnchen und roter Kappe, der unermüdlich schon seit 1938 im Dienste der guten Sache steht. Obwohl, dann ist er ja auch bereits weit über 80 Jahre alt, und schließlich starb selbst Superman 1993 im Kampf gegen Doomsday und auch Batman streckte 2009 gegen Darkseid der Heldentod nieder. Im Anhang des Albums erzählt Volker Hamann, dass laut der französischen "Spirou"-Ausgabe No. 4402 als Nachfolgerin für Spirou nun Steffani an der Seite von Fantasio tätig werden wird. Von Spirou sehen wir weiterhin nur seine Uniform durchs Wasser schweben (s. Titelbild), niemand weiß, wo er in der Unterwasserwelt rund um Korallion 2.0 geblieben ist. Fantasio konnte auf der Flucht aus dem vermeintlichen Unterwasser-Urlaubsparadies nur Pips retten. – Das neue Autorenteam nimmt die LeserInnen mit in eine Welt von heute, in der einige zyklotropische Erfindungen Einzug gehalten haben. (adi)

 
Michel Rabagliati: Paul zu Hause Paul zu Hause (Michel Rabagliati, Edition 52 2022, 208 S., SC, schwarzweiß)
Mit dem Titel "Paul zu Hause" gibt der Autor schon die Richtung vor, in der die Erzählungen dieser Grafiknovelle deuten sollen, nämlich Einblicke in das Zuhause des 51-jährigen Protagonisten zu geben. Wir erfahren vom Verhältnis der Hauptfigur, Paul Rifiorati, zu seiner Mutter, seiner Tochter, seinen Nachbarn, seinem Beruf und zu seinem Haus, seinem Arbeits- und Lebensmittelpunkt, den er allein in Ordnung zu halten bemüht ist. Unter die kurzweiligen, symbolischen oder berührenden Szenen dieses Buches, zum Beispiel den schmerzhaften Momenten beim Zahnarzt, der tristen Halbierung des alten Apfelbaums oder den Gesprächen mit der Mutter, mischt der Autor Informationen zu seinem Zeichenmaterial und seinem Beruf. Kurios wirkt dabei, dass er seine Abneigung gegen bestimmte Schriftypen zum Thema macht, wie sie auf Straßenschildern oder Verpackungen benutzt werden. (Im Anhang des Buches wird erklärt, dass Kanada tatsächlich mit einer Entscheidung zwischen den Schriftarten 'Highway Gothic' und 'Clearview' auf Wegweisern hadert.) Man könnte das als Atempause, als Ablenkung von den berichteten Einzelheiten verstehen, die Paul oder den Autoren dieser semi-autobiographischen Comics belasten. In Pauls Leben wechseln sich eher komische Vorfälle mit bitteren Erlebnissen ab. In der sehenswerten Verfilmung von "Paul à Québec" wird dieses Wechselspiel an Gefühlen auch auf der Leinwand deutlich. (adi)

 
Andreas Eikenroth: Dantons Tod Dantons Tod (Andreas Eikenroth, Edition 52 2023, 96 S., HC, farbig)
Der dritte Band des Büchner-Zyklus von Andreas Eikenroth gibt das Drama um den französischen Politiker Georges Danton als grafische Inszenierung wieder, in der Form, in der Eikenroth bereits "Woyzeck" und "Lenz" aufbereitete. Das heißt, es werden ganzseitige Simultandarstellungen genutzt, in denen sich die Figuren wie in einem Bühnenbild wiederfinden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen beim Lesen die grafischen Umsetzungen der im Büchnerschen Text gegebenen Reden, Monologe und Dialoge. Statt übervoller Sprechblasen bietet der Zeichner eine von Gestik und Mimik unterstützte, aufgelockerte Wiedergabe des originalen Textes von 1835 an. Dass er dabei einige Textteile auslässt, die bereits durch das Bild ausreichend zum Ausdruck gebracht wurden, versteht sich von selbst. Die von Büchner intendierten Charakterisierungen von Danton und Robespierre werden deutlich. Einerseits läuft ein grübelnder Robespierre wie ein Raubtier durch seinen Käfig, andererseits erscheint ein Danton, der sich offenbar zu sorglos oder selbstsicher den Anfeindungen stellt. – Im Alter von 34 Jahren starb Georges Danton unter der Guillotine und forderte seinen Henker als letzten Wunsch in Büchners Worten auf: "Und zeig den Leuten meinen Kopf. Er ist es wert, dass sie ihn sehen." Mit gut lesbaren, der Karikatur zuneigenden Zeichnungen lässt Eikenroth die LeserInnen an diesem schaurigen Kapitel der Französischen Revolution teilhaben. (adi)

 
Baru: Bella Ciao (due) Bella Ciao (due) (Baru, Edition 52 2022, 136 S., HC, farbig)
Baru setzt seine Schilderungen des Lebens der italienischen Einwanderer in Frankreich fort, die er in "Bella Ciao (uno)" begonnen hat. Er beginnt mit einer Erinnerung an das Jahr 1914, als die Generalmobilmachung ausgerufen wurde und sich unter Führung eines Enkels von Giuseppe Garibaldi, Ricciotti Garibaldi jr, eine Legion italienischer Freiwilliger den französischen Truppen anschloss. Der Großvater des Erzählers, Domenico, überlebte das Gemetzel und trug sein rotes Hemd (la "camicia rossa") mit Stolz, das ihn als Garibaldi-Anhänger auswies. Mit der Kirche hatte er nichts am Hut, aber für seinen Garten tat er alles. Zur Beschreibung des Alltags der italienischen Immigranten in fünf Episoden aus authentischen Familiengeschichten gehört auch die Auseinandersetzung der Anhänger des Duce und der Nazis mit denen, die sich für die Seite der Partisanen einsetzten. Das führt zu einer Tragödie. – Wie zu hoffen, bringt Baru zudem die Sehnsucht der Arbeitsimmigranten eindrücklich zu Papier, irgendwann in ihre Heimat zurückkehren zu können. Zuletzt wechselt der Autor und Zeichner in eine schwarzweiße Darstellung seiner Überlegungen zur Gestaltung des Schlussteils seines Buchs. Seine Freundin Élise holt ihn dabei zum Glück auf den Boden der Tatsachen zurück. (adi)

 
Thomas von Steinaecker/David von Bassewitz: Stockhausen Stockhausen – Der Mann, der vom Sirius kam (Thomas von Steinaecker/David von Bassewitz, Carlsen 2023, 392 S., HC, farbig)
Der Autor Thomas von Steinaecker lässt durch autobiografische Erinnerungen die Biografie Karlheinz Stockhausens lebendig werden. Das ist geschickt gemacht, abwechslungsreich und nachvollziehbar, und wird durch die grafische Umsetzung von Bernd von Bassewitz mit treffenden, teils doppelseitigen Eindrücken unterstützt. Durch die Lektüre des seitenstarken Buchs erklärt sich uns Stockhausens Suche nach neuen Klängen, nach ganz anderer Musik als der herkömmlichen. Seine schrecklichen Kriegserlebnisse, der frühe Verlust der Eltern, seine musikalischen Erlebnisse münden in einen Lebensweg, der 1949 mit einem ersten Hören von Arnold Schönbergs Zwölftonmusik in der Schulmusikklasse der Musikhochschule Köln beginnt. Ihm ist das aber noch zu gefühlsduselig: "Wohin haben uns denn all die großen Emotionen geführt?" Er widerspricht seinem Professor in Paris, der verlangt, man solle nie den Pfad der Tonalität verlassen, weil sich der Mensch danach sehne. Stockhausen gibt Kontra. Orchester und Publikum sind davon überfordert. Er wendet sich daher zunächst von der Instrumentalmusik ab. Der Gesang der Jünglinge zeigt, wohin die Reise geht (Dank Internet ist es möglich, sich dieses Frühwerk kostenfrei anzuhören, was man tun sollte, um der Geschichte Stockhausens nachspüren zu können). Für wenige Minuten Musik klebte er monatelang Tonbandschnipsel zusammen. Die Ergebnisse lassen interessiert aufhorchen oder an eine Aufzeichnung atmosphärischer Störungen glauben ("Katzenmusik"). Stockhausen ließ sich von der Kritik nicht beirren, sondern setzte seinen Weg durch Klangerzeugung, -anordnung und -überraschung mit immer neuen Ideen fort. (adi)

 
Serge Le Tendre/David Etien/Régis Loisel: Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit 11: Der närrische Samen Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit 11: Der närrische Samen (Serge Le Tendre/David Etien/Régis Loisel, Carlsen 2023, 72 S., SC, farbig)
Wie eine hochschwangere Frau, die rücklings im Wasser des Flusses Dol liegt, so zeigen sich die runden Steine des Archipels der Fruchtbarkeit den vier GefährtInnen, die sich dem Schutz Akbars vor dem Gott Ramor und dessen mordlüsternen Anhängern verschrieben haben. – Ritter Bragon und seinen Sidekick Bulrog mit Don Quijote und Sancho Pansa vergleichen zu wollen, ist ganz klar an den Haaren herbeigezogen. Don Quijote träumt seiner Dulcinea erfolglos hinterher, während Bragon seine Mara trotz des Vatermords verliebt in den Arm nehmen kann. Seine andere kampftüchtige Begleiterin, Kryll, nuss das eifersüchtig mit ansehen, während sie gleichzeitig Bulrog auf Distanz hält, der sich an sie heranmacht. Doch ihre Aufgabe verlangt, ihr eigentliches Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren, nämlich einen Samen aus dem Archipel der Fruchtbarkeit zu holen. Mara will ihn packen (siehe Titelbild), aber ganz ohne Hindernisse lässt sich die Sache nicht in den Griff bekommen. – Die Serie "Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit" erschien in zwei Abschnitten, der erste bis 1998, der zweite begann etwa zehn Jahre später. Die ersten vier Alben dieser famosen Fantasy-Reihe liegen seit 2021 als "Erster Zyklus" in einem Sammelband mit dem Titel 'Die Suche' vor, der zweite Zyklus ist für Mai 2023 angekündigt. (adi)

 
Dominique Grange/Jacques Tardi: Elise et Les Nouveaux Partisans Élise et Les Nouveaux Partisans (Dominique Grange/Jacques Tardi, Delcourt 2021, 176 S., HC, schwarzweiß)
Wie die Märzausgabe des Comicmagazins ZACK berichtet, erscheint das neue Tardi-Buch nicht in Deutsch. Die Gründe seien, dass zum einen die Autorin Dominique Grange im Nachwort ihre Ansicht zum israelisch-palästinensischen Konflikt zum Ausdruck bringe und man zum anderen daher fürchte, in die Nähe einer palästinensischen Boykottbewegung gebracht zu werden (s. ZACK 3/2023, S. 20). Man hat Angst vor der Diskussion um die politische Korrektheit einer Meinungsäußerung? Wie politisch unkorrekt ist das denn? Habermas wird im Dreieck springen. Zum Glück kann man sich selbst ein Bild des Ganzen machen, indem man sich den Comic in Englisch, Französisch, Niederländisch oder Spanisch besorgt, also den Sprachen. in denen er laut ZACK bereits veröffentlicht wurde. – Die von Tardi gezeichnete, umfangreiche Erzählung ist eine Autofiktion. Die Hauptfigur Élise ist offensichtlich die Autorin Dominique Grange selbst, wie man bei einem Abgleich zwischen dem Inhalt des Comics und ihrem Wikipedia-Eintrag feststellt. Als politische Aktivistin schildert sie ihren kämpferischen Einsatz und denjenigen ihrer maoistischen Gruppe in den 1960/70er Jahren für die Rechte von Arbeitern und Einwanderern. Sie lernte den Arbeitsalltag in Fabriken kennen. Sie ging trotz und gegen außergewöhnliche(r) Polizeigewalt auf die Straße. Sie landete im Knast. In einem Interview des französischen Fernsehens TV5 drückte sie die Hoffnung aus, dass man die damalige Zeit in Erinnerung behalte. Sie erklärt sich mit dem Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besetzung und Apartheid solidarisch. Angesichts ihrer Lebensgeschichte und Ideale versteht sich diese Haltung, deretwegen es das Buch in Deutsch nun nicht gibt. (adi)

 
Neil Gaiman/Kurt Busiek/Dan Slott/Jim Cheung/Stan Lee/Steve Ditko et al.: AmazingFantasySpiderMan Amazing Fantasy präsentiert Spider-Man (Neil Gaiman/Kurt Busiek/Dan Slott/Jim Cheung/Stan Lee/Steve Ditko et al., Panini 2023, 100 S., SC, farbig)
Nach geschätzt fast tausend Spider-Man-Heften in 60 Jahren verneigen sich eine Vielzahl von Comicautoren mit ihren Beiträgen vor einer legendären Superhelden-Figur: Peter Parker wurde in Amazing Fantasy Nr. 15 im August 1962 von der berühmten strahlenden Spinne gebissen. Als "The Amazing Spider-Man" geht er bis heute die Wände hoch. Die neueste, 2022 gestartete Spider-Man-Serie steht als sechste Staffel ('Volume 6') in der Datenbank. Deren erstes Heft erschien mit sage und schreibe 20 variants, also 20 verschiedenen Titelbildern, was die anhaltende Beliebtheit von Spider-Man unterstreicht. – Unter den abwechslungsreichen Geschichten des Sammelbands ist auch eine, in der Spidey sein Alter sehr schmerzhaft zu spüren bekommt. Des Weiteren erfahren die LeserInnen Hintergründiges aus dem Spider-Verse. Und Neil Gaiman erinnert an seinen Besuch bei Steve Ditko, dem Zeichner des ersten Spider-Man-Abenteuers, also diejenige mit dem Spinnenbiss. Als besonderen Bonbon druckt dieser Softcover-Band diese erste Spider-Man-Story aus dem Heft "Amazing Fantasy" #15 von 1962 ab. Damit wird die originale Ausgabe von "Amazing Fantasy #1000", auf der diese deutsche Ausgabe beruht, sehr erfreulich ergänzt. (adi)

 
Erik Varekamp/Mick Peet: Die Akte Kennedy 1 Die Akte Kennedy 1 (Erik Varekamp/Mick Peet, Carlsen 2023, 176 S., HC, farbig)
Vor dem Hintergrund heutigen Wissens ist die politische und moralische Leistung des Whiskyschmugglers, Börsenspekulanten und US-amerikanischen Botschafters Joseph Patrick "Joe" Kennedy (1888-1969) als negativ zu beurteilen. Zu dieser Einschätzung gelangt man beim Lesen dieser Biografie wegen der Darstellung seines Verhaltens gegenüber den Nazis, seines Lebenswandels und seiner Geschäftemacherei. Das überrascht. Mit dem Namen Kennedy verbindet man gemeinhin die Vorstellung von einer Lichtgestalt, nach der hierzulande Brücken und Straßen benannt wurden. Das war dieser Joe nicht. Immerhin schreiben die Autoren im Vorwort, dass man nicht alles in diesem Buch als gesicherte Erkenntnis ansehen dürfe, es handele sich um "eine satirische Darstellung". Im ausführlichen Epilog des Bandes erfährt man Weiteres. – Der Comic gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil wird "Joe" Kennedy als jemand vorgestellt, der zwar Ambitionen auf das Präsidentenamt zeigt, sich als US-Botschafter in London aufgrund seiner politischen Haltung und Fehleinschätzungen aber nicht bewährt. Der zweite Teil handelt zudem von seinen Söhnen "Joe" Kennedy Jr., der seit einem Einsatz als Bomberpilot 1944 vermisst wird, und "Jack" Kennedy, der als John F. Kennedy später US-Präsident wird. Beide werden von Vater Joe auf geheime Missionen durch ein Europa geschickt, in dem kurz darauf der Zweite Weltkrieg ausbricht. (adi)

 
Lorenzo Coltellacci/Andrès Abiuso: M. C. Escher M. C. Escher – Unmögliche Welten (Lorenzo Coltellacci/Andrès Abiuso, Knesebeck 2023, 144 S., HC, farbig)
Leben und Werk von Maurits Cornelis Escher werden den LeserInnen dieser Biografie über ein Zusammentreffen des Schülers Mauk (der Kenner weiß gleich, wer das ist, die anderen erfahren es später) mit einem "Guide" erläutert, einem lehrbeflissenen, geisterhaften Führer durch eine Parallelwelt mit Zitaten aus Eschers Arbeiten. Dass dabei die in unserer Wirklichkeit nicht möglichen, aber faszinierenden Figuren im Vordergrund stehen, ist zu erwarten (siehe die Treppen im Titelbild) oder zu hoffen. Salvador Dalí sagte angesichts der grafischen Arbeiten von Escher, dass selbige Tore zu anderen Welten öffneten. Sind diese unmöglichen Figuren in anderen Welten vielleicht möglich? Das Buch gibt Denkanstöße. Es zitiert zum Beispiel Einsteins Anmerkung zum Konzept der Relativität bei Escher, es deutet eine Gemeinsamkeit mit Benoît Mandelbrots Fraktalen an (ohne das näher auszuführen) und es gibt René Magrittes fragwürdige Aussage zu Eschers Werk wieder, derzufolge Escher weder Künstler noch Mathematiker gewesen sei. Den Eindruck, dass man nicht beides gleichzeitig sein könne, vermittelt auch eine Stelle im Dialog zwischen Mauk und dem Guide ("Wenn du mir folgst, wirst du lernen, wie man Künstler wird... oder du paukst weiter Mathe"). Wenn man sich die Parkettierungen, Sphären oder "unmöglichen" geometrischen Objekte Eschers ansieht, erkennt man, wie sehr Escher auch Mathematiker war. Und seine Bedeutung als Künstler wird heute auch niemand mehr in Abrede stellen. (adi)

 
McFarlane/Lewis/Fernandez/Nachlik: King Spawn 2 King Spawn 2: Kampf um die Krone (Sean Lewis/Todd McFarlane/Javi Fernandez et al., Panini 2023, 140 S., SC, farbig)
Spawn, ehedem Al Simmons, soll König werden, also den Gottesthron besteigen, der aus Gebeinen von Feinden zusammengesetzt wurde und auf dem man die Qual der Seelen aus dem Jenseits spürt. Als Black Azrael, der gefallene Engel, den üblen Mammon zur Strafe auf diesen Thron setzt, geht das für diesen überaus schmerzhaft und blutig aus. Da könnte man verstehen, dass Spawn die ihm nachdrücklich angediente Ehre und den damit verbundenen enormen Machtzuwachs ablehnt, auch wenn ihm in Aussicht gestellt wird, dabei seine geliebte Wanda Blake wiederbeleben zu können. Auch sein Kumpel Terry Fitzgerald fiebert dieser Möglichkeit nach. Selbst das Bibelzitat "Als er aber König geworden war und den Thron bestiegen hatte, beseitigte er alle." wird bemüht, um den höllischen Konflikt zu beschreiben, der sich zwischen Spawn und den auf der Erde gefangenen Engeln und Dämonen ergeben hat. – Und dann mischt sich Gaia, Mutter Erde, in die Auseinandersetzung ein. Ein "Königsmörder" namens Simon wird auf Spawn angesetzt. Ob Simmons diese fintenreichen Spielchen rechtzeitig durchschaut, in denen sogar Wanda leibhaftig wieder vor ihn hingelegt wird? Gaia verlangt, dass er seine Wut ablegt. Dann würde auch mit Wanda alles wieder gut werden. Ha, wer glaubt denn, dass so etwas möglich ist? (adi)

 

Februar 2023


Aike Arndt: Verdammte Wirklichkeit Verdammte Wirklichkeit (Aike Arndt, Zwerchfell 2022, 208 S., SC, schwarzweiß)
"Omnipräsenz kann einsam machen". Zu dieser Erkenntnis lässt uns der feine Humor von Aike Arndt durch seinen sympathischen Gott kommen, der gleichzeitig überall sein könnte, wenn er nur wollte. In diesem Zustand fällt es ihm augenscheinlich schwer, sich selbst zu ertragen. – Mit kleinen Zeichnungen in einem kleinen Buch bringt Arndt auf den Punkt, worüber man sich Gedanken hätte machen können, zum Beispiel zur Abstandsregel, zum Gurkeneinkauf durch den Mond oder zum Missverhältnis zwischen der Zeit fürs Comiczeichnen und fürs Comiclesen: "Hat mich da'n Comic gestreift? Oder 'ne Eintagsfliege?" – Drei vorher als selbstproduzierte Heftchen erschienene Comics sind in diesem handlichen Band zusammengestellt worden: "Die Kunst und Gott", "Gott und Gott" und "Die Herrschaft des Alltags". Hinzu nahm Arndt eine Reihe von Comics, die ganz neu sind. Zwischenzeitlich hatte Arndt vorzüglich bei den Unheimlichen mitgearbeitet. Jetzt zeigt er wieder heitere Seiten dank seiner Beschäftigung mit Gott, der mangels Lichts den Baumarkt schuf und für den der Stein ein umweltfreundliches Fahrzeug ist. (adi)

 
François Schuiten/Benoît Peeters: Nach Paris Nach Paris – Gesamtausgabe (François Schuiten/Benoît Peeters, Schreiber & Leser 2023, 144 S., HC, farbig)
Karinh träumt von einem Besuch in Paris. Doch sie kann sich nicht einfach in ein Flugzeug oder einen Zug setzen, um in die Stadt des Eiffelturms, der Notre-Dame und des Arc de Triomphe zu reisen, denn sie lebt in der weit entfernten Kolonie Arche im Weltraum. Die Kolonialisten werden von den Terranern als "Memmen" und "Drückeberger" schlecht angesehen, weil sie 2051 heimlich von der verseuchten, untergehenden Erde ins All geflohen sind. Nun plant die Arche im Jahr 2156 eine neue Expedition zurück zur Erde, nachdem der Versuch 2116 leider nur halbwegs gelang. Karinh schafft es, für den siebenmonatigen Flug als Bordchefin des renovierten Transportschiffs Röhre eingesetzt zu werden. Zum Glück ist der alte Mediziner Mikhail Winckelmann mit an Bord, einerseits, weil das Durchschnittsalter der Reisenden 93 Jahre beträgt, andererseits, weil auch Karinh ab und an einen besonnenen Begleiter benötigt, der sie aus Träumen und Schwierigkeiten holt. – Grafisch ist dieser Band mit seinen vielen architektonischen Sichten ein typischer Schuiten. Inhaltlich erlaubt er ein Nachdenken über unsere Weg in eine beängstigende Zukunft. Dazu eignet sich die erzählerische Konstruktion eines Rückflugs aus der Zukunft zur Erde bestens. Zugleich dienen die stadtplanerischen Überlegungen im Anhang des Buchs als Aufruf zu einer gut überlegten, zukünftigen Gestaltung des großstädtichen Raums. (adi)

 
Tom King/Mitch Gerads: Batman - One Bad Day 1: Riddler Batman - One Bad Day 1: Riddler (Tom King/Mitch Gerads, Panini 2023, 76 S., HC, farbig)
Warum ist der Riddler nur so versessen darauf, seine Taten mit Rätseln anzukündigen? Warum gibt er Batman und Commissioner Gordon diese Nüsse zu knacken? Was ist in seiner Jugend nur schiefgelaufen? Auch diese Fragen könnten ewig Rätsel bleiben, hätte man sich nicht entschieden, in der Reihe "Batman - One Bad Day" über die schurkischen Gegenspieler Batmans tiefgründiger aufzuklären. Mit Enthüllungen zu Two Face und dem Pinguin wird diese Aufklärungsreihe bald fortgesetzt werden. – Edward Nigma, vulgo Der Riddler, war einst ein braver Schüler, angetrieben durch einen prügelnden Vater, herausgefordert durch einen Lehrer, der von ihm erwartete, am Ende schriftlicher Prüfungen auch noch ein Rätsel zu lösen, dessen Beantwortung in die Note einging. Da kann Edward bis zum Umfallen lernen, er schafft keine 1, wenn er die Frage "Welches Wort wird am häufigsten falsch buchstabiert?" nicht mit "falsch" beantwortet. Das empfindet er als ungerecht, wir vielleicht auch. Das Rätsel, das er dann viel später nach einer Mordtat dem Commissioner Jim Gordon stellen wird, erklärt einen guten Teil seiner psychischen Ausrüstung: "Es gibt ein Haus, das man blind betritt und sehend verlässt. Welches Haus ist das?" (adi)

 
Stan Lee/Moebius: Marvel Must-Have 67: Silver Surfer: Parabel Marvel Must-Have 67: Silver Surfer: Parabel (Stan Lee/Moebius, Panini 2023, 100 S., HC, farbig)
Auf einer Comic-Veranstaltung in den USA treffen sich Ende der 1980er Jahre Stan Lee und Moebius. Sie kommen auf die Idee, zusammen eine US-Superheldengeschichte auf die Beine zu stellen. Moebius schlägt den Silver Surfer als Heldenfigur vor. So kommen um den Jahreswechsel 1988/89 bei Marvel dann tatsächlich zwei Hefte dieser europäisch-amerikanischen Kooperation heraus, mit zusammen 49 Seiten. Im nun vorliegenden Must-Have-Band wurde noch eine damals weggelassene Seite "M7" hinzugenommen, wir erhalten also 50 Seiten Moebius-Comic. – Galactus landet mit seinem riesigen Raumschiff auf der Erde. Ein selbsternannter Prophet, Colton Candell, erklärt ihn zu einem Gott und die Bevölkerung folgt mehrheitlich Candells irreführenden Ansichten. Erst als die Schwester des Propheten, Elyna, in ihrem Einsatz gegen Galaktus attackiert wird und als Galaktus bei der Auseinandersetzung mit dem Silver Surfer immer mehr Gebäude in Schutt und Asche legt, ändert sich die allgemeine Meinung. – An den Comicteil des Bandes schließen sich Ausführungen von Stan Lee und Moebius an, die zur Entstehung des Bandes Auskunft geben. Moebius ("John Difool", "Major Grubert") berichtet darin von den Mühen, einen solchen US-Comic zu machen und sich dabei selbst treu zu bleiben. (adi)

 
Joris Chamblain/Fabrizio Petrossi: Dagobert und der Drache von Glasgow Dagobert und der Drache von Glasgow (Joris Chamblain/Fabrizio Petrossi, Egmont 2023, 56 S., HC, farbig)
Stabiler Umschlag, dickes Papier, die ungewöhnliche Geschichte aus Dagoberts Jugend verspricht eine Lektüre mit langer Haltbarkeit. Apropos Haltbarkeit, auch der alte Duck scheint mit großer Langlebigkeit gesegnet, denn die hier detailliert niedergezeichnete Geschichte spielt im Jahr 1877, als Dagobert mit seiner Schwester Mathilda in den Kohleminen der Stadt nach Abenteuern sucht. Wir sind in Schottland, in Glasgow, zu einer Zeit, als Kohle und Eisen dort für die Industrie eine große Rolle spielt. Wir sind nur 150 Meilen entfernt von Loch Ness, von dessen Ungeheuer seit dem Mittelalter berichtet wird. Ob es unten in den dunklen Minen auch ein Ungeheuer, einen Drachen gibt? Dagobert entwickelt einen trickreichen Plan, in dem die faszinierende Erin eine Rolle spielt, an die er wegen Tick, Trick und Track auch auf seine alten Tage noch zurückdenken wird. Erin schauspielert im städtischen Theater. Man gibt Romeo und Julia. Das ihr Schicksal bestimmende Zerwürfnis ihrer Familien hat leider im damaligen Schottland eine Entsprechung bei den Familien Duck und Whiskerville. Dietbert Duck, Dagoberts Vater, ist über den Umgang seines Sohnes empört. Dagobert wählt für sich die Möglichkeit, in Amerika sein Geld zu machen. Wir wissen, wozu das führt. (adi)

 
Jeremy Lambert/Marianna Ignazzi/Valentina Pinti/Claudia Balboni: Buffy (2020) 9: Vergiss mein nicht Buffy (2020) 9: Vergiss mein nicht (Jeremy Lambert/Marianna Ignazzi/Valentina Pinti et al., Panini 2023, 228 S., SC, farbig)
Was für ein Glück, dass Willow im Buffy-Multiversum den Jägerinnen die Türen offen halten kann. Obwohl dabei immer die Gefahr besteht, dass einem beim Wechsel von einem Universum in ein anderes die Lurker alle Erinnerungen rauben (siehe Buffy (2020) 8). Aber andererseits besteht die Chance, mit den gleichnamigen Jägerinnen anderer Universen Kontakt aufzunehmen und sich eventuell gegenseitig zu helfen. Der gemeinsame Feind der sympathischen Weltrettungstruppe ist Silas, Verschlinger von Welten und Erinnerungen. Doch Giles und Anya erwischt es, die Lurker schnappen zu, die beiden vergessen alles, obwohl man ihr Wissen in dieser Situation nötig bräuchte. Buffy muntert ihre Kameradinnen auf: "Ja, aber blöd gelaufen für Silas. Er hat uns... Er hat Willow nicht erwischt. Und jetzt werden wir diesen Ozzy 2.0 in Stücke reißen." Doch das ist gar nicht so einfach. – Den doppeltdicken Abschlussband der Geschichte aus dem Buffyversum haben drei Zeichnerinnen zu Papier gebracht. Angesichts der vielen Figuren scheint es hilfreich, sich ein kleines Verzeichnis anzulegen: helles Haar, schwarzes Hemd - Buffy, helles Haar, blaues Hemd - Anya, braunes Haar, rotes Hemd - Faith usf. Doch die wahren Buffy-Fans erkennen wohl ohnehin alle Jägerinnen und Wächter auf Anhieb. (adi)

 
Jeremy Barlow/Josh Hood: Avatar - Der nächste Schatten Avatar - Der nächste Schatten (Jeremy Barlow/Josh Hood, Panini 2023, 92 S., SC, farbig)
Jake Sully konnte sich auf Seiten der Na'vi gegen den irdischen Bergbaukonzern RDA durchsetzen, der Pandora ausbeuten wollte. Wie man aus dem ersten Avatar-Film weiß, wechselte Jake aus seinem gelähmten menschlichen Körper gänzlich in seinen Avatarkörper und führt nun den Clan der Omatikaya an. Die Erzählung des hier vorliegenden Avatar-Bands schließt an den Film an und gehört nicht zur Prequel-Reihe mit Avatar: Das Blut von Pandora für den neuen, zweiten Film. Vielmehr wird beschrieben, wie Jake in seinem Clan auf gefährliche Gegenspieler trifft, die offenbar seinen ausgleichenden Umgang mit den auf Pandora verbliebenen Menschen entschieden ablehnen, obwohl der Clan daraus einen zumindest medizinischen Nutzen ziehen könnte. Ein Kontrahent fordert Jake mit einem präparierten Messer zum Zweikampf um die Position des Anführers. Das Titelbild des Bandes zeigt diesen wesentlichen Moment der Geschichte (draufklicken, um es größer angezeigt zu bekommen). Jakes Frau Neytiri ist nicht in der Nähe und kann nicht helfen. Jake muss auf den Rückhalt anderer Na'vi und Menschen hoffen, um die mörderische Situation zu überstehen. – Der Comic gibt atmosphärische Einblicke in das verzaubernde und ferne Pandora und ins Seelenleben seiner großen blauen Ureinwohner. (adi)

 
Joe Hill/Dan McDaid: Sea Dogs - Blutige Wellen Sea Dogs - Blutige Wellen (Joe Hill/Dan McDaid, Panini 2023, 100 S., SC, farbig)
Der Klappentext verspricht Seemannsgarn, aber wer dabei an Geschichten mit Riesenkraken, dem Klabautermann oder dem Fliegenden Holländer denkt, der liegt daneben. Denn hier sind Werwölfe an Bord. Der Autor Joe Hill, nein, nicht der US-Arbeiterführer, sondern der Sohn von Stephen King, macht dem Namen der Familie alle Ehre und lässt in seiner Horrorstory den US-amerikanischen Geheimdienst drei Werwölfe in das britische Kriegsschiff HMS Havoc einschleusen. Wer die Werwölfe nun sind, das wissen zunächst weder die LeserInnen noch der Kapitän Merlin Wolstencroft, dessen Nachname den Horrorfan beiläufig an Mary Wollstonecraft Shelley erinnert. Ist der einäugige neue Schiffsarzt oder sein Gehilfe Jean ein Werwolf? Oder ist es Bill Krunk mit dem fauligen Zahn oder einer der Offiziere oder der Mohawk Konkapot? Der blutige Erfolg der Werwölfe scheint die HMS Havoc immer mehr außer Gefecht zu setzen. – Es ist das Jahr 1780. Im Unabhängigkeitskrieg gegen die britische Kolonialmacht verliert die "Continental Navy" der Kolonisten fast alle Schiffe. Man hofft auf Hilfe durch die Franzosen und Spanier. Joe Hill schreibt eine Werwolf-Geschichte vor historischem Hintergrund, einem Krieg, der erst ein Jahr später in Yorktown an Land entschieden werden wird. (adi)

 
James Tynion IV/Lisandro Estherren/Yanick Paquette et al.: Sandman Albtraumland 1: Der lächelnde Mann Sandman Albtraumland 1: Der lächelnde Mann (James Tynion IV/Lisandro Estherren/Yanick Paquette et al., Panini 2023, 164 S., SC, farbig)
Die junge Studentin Madison Flynn malt. Das immer wiederkehrende Motiv ihrer Werke ist erschreckend: Sie malt den Korinther mit seinen Zähnen in den Augenhöhlen. Der Korinther ist ein Albtraum, geschaffen von Dream, einem der Ewigen. Er ist mit seinen Augen hinter den Augen seiner Opfer her, ein Erzähldetail, das die LeserInnen wohl an den Sandmann-Schauerroman von E. T. A. Hoffmann erinnert. Doch vor Madisons Augen taucht ständig noch ein anderes Monster auf, dick, schwabbelig und mit Zungen in den Augenhöhlen. Dieses Monstrum lächelt. Und es ist augenscheinlich kein Albtraum aus der Schmiede von Dream. Der Korinther besucht Madison und wundert sich über diesen Konkurrenten. Zwei weitere Monstrositäten, die Verkörperungen von Agonie und Ekstase, der eine blind, der andere superaktiv, mischen die gruselige Szenerie dieses ersten Buches zum Albtraumland zusätzlich auf. Man kann nur hoffen, dass der Herr der Träume in seinem Beritt die Ordnung bald wieder herstellt. – In diesem "Sandman"-Ableger wechseln sich mehrere ZeichnerInnen ab. In den ersten fünf Kapiteln werden die wasserfarbenen, mit dünnem Strich gefertigten Bilder jeweils für einige Seiten von klareren oder düstereren unterbrochen. Danach übernimmt Maria Llovet die Aufgabe die Hexe Tessaly ins magische Bild zu setzen. (adi)

 
Bill Willingham/Mark Buckingham/Steve Leialoha: Fables: Im tiefen, dunklen Wald 1 Fables: Im tiefen, dunklen Wald 1 (Bill Willingham/Mark Buckingham/Steve Leialoha, Panini 2023, 156 S., SC, farbig)
Nach hundertneunundvierzig Heften und einem dickeren Abschlussband mit dem Titel Farewell war die Erzählung 2015 eigentlich beendet. Die Welt der aus mehreren Märchen, Kinderbüchern und Sagen entlehnten Fabelwesen wurde zerstört. Doch jetzt wird fortgesetzt, wozu der Bürgermeister King Cole von Fabletown den Normalos erklärt, dass sich zweitausend ehemalige Einwohner seiner Stadt nun in alle Welt zerstreut hätten. Jack in the Green (siehe Titelbild) verschlägt es mit Pfeil und Bogen in den Wald, Cinderella landet in Manhattan in der Pathologie, Peter Pan und Tinker Bell schließen den Holzschnitzer Geppetto dauerhaft ein, die Familie von Snow White und Bigby Wolf baut sich in Hessen im Wald einen neuen Wohnsitz. Da dabei die Kinder nur stören, jagt Bigby sie davon: "Kommt erst wieder, wenn ihr ein großes Abenteuer erlebt habt." In den sich daran anschließenden, einfallsreichen Geschichten begleiten die LeserInnen die charakterlich so verschiedenen Ambrose, Winter, Connor und Blossom Wolf gespannt. Ersterer landet bei einem Bücherwurm, die zweite in einer Teetasse auf einem Schildkrötenrücken, der dritte schließt sich einem umherziehenden Helden an und die vierte öffnet arglos eine zugekettete Kiste. Snow White sorgt sich nach einiger Zeit um den Verbleib ihrer Welpen. Doch Bigby erwartet, dass sie sich durchsetzen werden, typisch Wolf. (adi)

 
Sherri L. Smith/Diego Galindo et al.: Avatar - Das Blut von Pandora 2 Avatar - Das Blut von Pandora 2 (Sherri L. Smith/Diego Galindo et al, Panini 2023, 92 S., SC, farbig)
Die Bergbaufirma RDA nähert sich mit zehn Schiffen dem Planeten Pandora. Die dortigen Ubtonium-Vorkommen locken die Terraner an. Als die RDA seinerzeit von den Na'vi, den Bewohnern Pandoras, vertrieben wurde, ließ man Ubtonium-Vorräte für gut 3 Trillionen Dollar zurück. Jetzt will man unter Führung von der Generalin Ardmore wieder ungehindert an die Bodenschätze heran. Jake Sully hat seine Mitkämpfer von den Na'vi auf diesen Angriff vorbereitet (siehe auch Das Blut von Pandora 1) und verbietet Ardmore den Zutritt zu Pandora. Sie will sich von "blauen Affen" und "linken Terroristen" aber von ihrem Vorhaben nicht abbringen lassen. Hätten Jake und seine Frau Neytiri nur mit der Generalin zu tun und nicht auch noch mit unsicheren Kantonisten in den eigenen Reihen und mit ihren eigensinnigen Kindern, ließe sich ihr Plan eines Präventivschlags gegen die feindliche Armada sicherlich einfacher ausführen. Doch so kommt es zu einer verlustreichen und ausufernden Raumschlacht, deren Ausgang im dritten Band dieser Trilogie zu lesen sein wird. Wer den zweiten Avatar-Film bereits gesehen hat, der in den ersten zwei Monaten schon über zwei Milliarden $ eingespielt hat, wird wissen, wer von den Kämpfern dieses langatmige Gefecht (> 40 Seiten!) übersteht. (adi)

 

Januar 2023


Arnaud Delalande/Éric Liberge: Fritz Lang Fritz Lang (Arnaud Delalande/Éric Liberge, Knesebeck 2023, 112 S., HC, farbig)
Der schnauzbärtige Kommissar lässt Fritz Lang nicht in Ruhe. Er taucht in dieser Comic-Biografie wiederholt auf und erinnert daran, dass Fritz Langs erste Frau Elisabeth 1920 auf nie ganz geklärte Weise zu Tode gekommen ist. Mit diesem tragischen Vorfall beginnt die nun erschienene Biografie zum Leben und zur Arbeit des vielbeachteten Regisseurs, den seine Frau 1920 im Bett mit Thea von Harbou angetroffen haben soll. Nach den Drehbüchern von Thea, die er 1922 heiratet, entstehen zunächst "Der müde Tod", "Die Nibelungen" und "Metropolis". Obwohl die Ehe schon bald scheitert, arbeiten die beiden bis hin zu "Die Frau im Mond", "M" und "Das Testament des Dr. Mabuse" weiter zusammen. Die Comic-Biografie spult nicht einfach die Geschichte dieser Filme ab oder listet nüchtern Lebensdaten auf, sondern die Biografen setzen Schwerpunkte durch die Darstellung der aufreibenden Arbeit des Meisterregisseurs zum Beispiel an "Metropolis" und sie beschreiben in längeren Passagen die Übernahme der Macht durch die Nazis. 1933 verlässt Lang nach einem Gespräch mit Goebbels fluchtartig Berlin. Die eindrucksvollen Schlussseiten erklären seine Entscheidung. Er lässt alles hinter sich und verschwindet über das aufgewühlte Meer in eine andere Welt. (adi)

 
Bastien Vivès/Martin Quenehen: Nationalfeiertag Nationalfeiertag (Bastien Vivès/Martin Quenehen, Schreiber & Leser 2023, 256 S., HC, zweifarbig)
Der Titel dieses ungewöhnlichen Krimis bezieht sich auf den 14. Juli, also dem französischen Nationalfeiertag, der in einer kleinen, beschaulichen Gemeinde, dem Schauplatz der nachdenklich machenden Erzählung, auch seitens der Polizei vorbereitet wird. Man gibt sich sorglos, aber der junge Polizeianwärter Jimmy Girard denkt an einen möglichen terroristischen Anschlag. Als Grund dafür fällt den LeserInnen wohl zunächst der Terroranschlag vom 14. Juli 2016 in Nizza ein, auf den sich die Autoren aber nicht namentlich beziehen. Offenbar geht es ihnen allgemein um den Zeitgeist im Frankreich jener Jahre. Als der Maler Vincent Louyot und seine Tochter Lisa in Jimmys Gemeinde eintreffen, wird ein Attentat, bei denen Vincents Frau Catherine umkam, als Grund für ihr Kommen aus Paris genannt. Er wolle den Sommer über Trauerarbeit leisten, sagt Vincent, der von Vivès so gezeichnet ist, dass er an den Religionskritiker Michel Houellebecq erinnert. Schnell kommt Jimmy dahinter, dass Vincent noch ganz andere Absichten hat. Eigentlich müsste sich Jimmy als Polizist nun ganz anders verhalten, als er es dann macht. Es bleibt den LeserInnen überlassen, für Jimmys Verhalten Verständnis zu zeigen oder doch besser zu rätseln, warum die Autoren kein moralisch korrektes Ende anstreben. Ist Jimmy denn nun ein "Held"? (adi)

 
Sam Johns/James Tynion IV/Mirka Andolfo: Punchline - Der Prozess Punchline - Der Prozess (Sam Johns/James Tynion IV/Mirka Andolfo et al., Panini 2023, 132 S., SC, farbig)
Auf Punchline (d.i. Alexis Kaye) als Nachfolgerin und Widersacherin von Harley Quinn stießen wir erst kürzlich, als Batman in finstere Pläne verstrickt wurde. Der schlagfertigen Joker-Favoritin soll nun der Prozess gemacht werden, wozu sie in der Strafanstalt Blackgate verwahrt wird. Dort herrscht Pikdame, Anführerin der Royal Flash Gang, die sie umgehend und kurz und schmerzvoll beerben kann. Nun müssen noch ihre Karten bis zu einem angestrebten Freispruch vor Gericht richtig gemischt werden. Die Killerwalmutation Orca (d.i. Dr. Grace Balin) schlägt hoffentlich auf der richtigen Seite zu. Bluebird (d.i. Harper Row) und die Gutachterin Dr. Leslie Thompkins versuchen Punchline die (Mit-) Schuld an einer Reihe von Morden nachzuweisen, die angeblich auf das Konto des Jokers gehen. – Aus 15 Kapiteln à 8 Seiten setzt sich dieser Einblick in den mörderischen Charakter einer neuen Superschurkin zusammen. Die Kapitel erschienen jeweils als Zweitgeschichte in der US-Serie The Joker in den Jahren 2021 und 2022, zeigen also ein aktuelles Bild der Lage in Gotham nach dem Joker-Krieg. Dazu meint Bluff, der Freund von Harpers Bruder Cullen, fachkundig: "Gotham ist eine harte Stadt. Jeder hat eine Vorstrafe oder hängt von jemandem mit Vorstrafe ab..." (adi)

 
Nicoby/Vincent Zabus/Jostein Gaarder: Sophies Welt 1 Sofies Welt oder die Geschichte der Philosophie 1: Von den Anfängen (Vincent Zabus/Nicoby/Jostein Gaarder, Hanser 2022, 264 S., HC, farbig)
Erst seit ein paar Wochen in den Läden und schon gibt es eine zweite Auflage der Graphic Novel zu dem berühmten Philosophie-Buch von Jostein Gaarder. Dem Mädchen Sofie Amundsen werden darin klassische Fragen gestellt, die die Menschen seit jeher beschäftigen: Wer bin ich? Woher kommt die Welt? Wie soll man leben? Sofie wird dazu von einem mysteriösen Unbekannten ein Philosophiekurs angeboten. Dieser Kurs folgt für Sofie und den Lesenden den historischen Abläufen, beginnt also bei den Gedanken der griechischen Naturphilosophen und bei Demokrit (460-370 v. Chr.), dessen Atomtheorie mit Legosteinen veranschaulicht wird. Aus Sokrates' philosophischer Gesprächstechnik ergibt sich für Sofie sogleich ein Nachdenken über Fakten zur Klimaerwärmung. Den Autoren ist erfreulicherweise an Gegenwartsbezug gelegen. Schön klingt in diesem Zusammenhang die von Sokrates benutzte Bezeichnung Ultrakrepidarier für "Menschen, die sich außerhalb ihrer Kompetenz zu etwas äußern". Auch das Höhlengleichnis von Platon bietet Anknüpfungspunkte zur Erklärung aktueller Phänomene in den sozialen Blasen des Internets. In einfach gehaltenen, gut lesbaren Zeichnungen führt dieser erste Band bis in die Welten von Renaissance und Barock. Und Sofie rebelliert. Gut. (adi)

 
Édouard Aidans/Yves Duval/Jacques Acar: Sven Janssen Integral 1 Sven Janssen Integral 1: 1963-1967 (Édouard Aidans/Yves Duval/Jacques Acar, Kult Comics 2021, 264 S., HC, farbig)
Wiederum vorbildlich – und wie bei diesen mit 'Integral' bezeichneten Sammelbänden üblich – führt ein Dossier in die Serie aus comichistorischer Sicht ein (siehe auch "Adler Integral 1", "Timmi Tambour Integral 1" oder "Lou Smog Integral 1"). Bildet man mit dem mathematischen Integral die Summe von Flächenstücken, so bildet man mit diesen Integral-Bänden eine Art Summe an Fakten und Erzählungen, die zu einer Serie gehören, womit folglich eine Gesamtschau auf ein Stück Comiczeitgeschichte möglich wird. Dieses Mal leistet Volker Hamann die gründliche Einordnung von "Sven Janssen" in den frankobelgischen Comic der 1960er Jahre. Damit erklärt sich dann, warum der Abenteurer Sven Janssen in der zweiten Erzählung ein anderes Umfeld erhält, in der nicht mehr die Tante samt Diener, sondern seine Familie mit einem roten VW-Bulli an Svens Seite steht. Sven verdingt sich als Fotojournalist. Mit dem roten Bulli erreichen die Janssens Afrika, wo sie bedrohliche Situationen mit gefährlichen Tieren, Pygmäen und Deutschen durchzustehen haben (zwei vertauschte Seiten stören dabei nicht wirklich). Es geht für das UN-Kinderhilfswerk und andere Auftraggeber oder privat nach Asien, Lateinamerika, Portugal und mehrmals nach Afrika mit Erzählungen, denen man ihr Alter natürlich anmerken sollte. (adi)

 
Guilherme Balbi/Sherri L. Smith: Avatar - Das Blut von Pandora 1 Avatar - Das Blut von Pandora 1 (Sherri L. Smith/Guilherme Balbi, Panini 2023, 92 S., SC, farbig)
Mit Hilfe seines Avatars konnte sich Jake Sully im Auftrag einer Bergbaufirma auf dem Mond Pandora bei den Ureinwohnern, den Na'vi, um deren Einsicht bemühen, ihren angestammten Platz wegen der darunterliegenden Bodenschätze verlassen zu müssen. Die Na'vi lehnten das entschieden ab. Es endete mit einem Angriff der brutalen Miliz der Firma auf die Heimat der Na'vi und unterbrach auch Jakes Beziehung zu seiner geliebten Neytiri. Aber es kam im so erfolgreichen Film von 2009 für Jake und Neytiri zu einem glücklichen Ende und später zu einigen Kindern: Neteyam, Kiri, Lo'ak und Tuktirey. Zum Ritual der Aufnahme Jakes bei den Na'vi gehörte das Zureiten eines Drachens. Das gelang ihm dank Geschick und Ausdauer so wie Old Shatterhand bei Mr. Henrys Rotschimmel. Jetzt aber steht sein Sohn Lo'ak vor dieser gefährlichen Aufgabe, wovon der erste Teil dieses Comics erzählt, der anschließend von den Vorbereitungen auf die Rückkehr der Bergbaufirma und vom menschlichen Kriegswaisen Spider handelt, der sich auf Pandora nur mit Schutzmaske aufhalten kann. – Dieser erste von drei Teilen leitet als Prequel zum aktuellen Avatar-Film "The Way of Water" auch zeichnerisch gelungen in die verzaubernde, urweltliche Atmosphäre Pandoras ein, dessen Natur und Kultur sich ein weiteres Mal ökonomischen, terrestrischen Interessen unterordnen soll. (adi)

 
Jim Ottaviani/Jerel Dye: Einstein Einstein (Jim Ottaviani/Jerel Dye, Panini 2023, 304 S., HC, farbig)
Mit einer solchen Persönlichkeit wie der des leidenschaftlich neugierigen Physik-Genies Albert Einsteins lohnt sich die Auseinandersetzung unter mehrerlei Blickwinkeln. Diese Biografie zeichnet zuvorderst seinen Werdegang und Lebensweg nach. Dabei lassen die Autoren auch die Grundzüge der Erkenntnisse Einsteins aufscheinen, ohne dass allzu sehr ins Detail gegangen wird. Anders als im Sach-Comic "Einstein für Anfänger" von 1979, der eigentlich kein Comic ist, sondern ein illustriertes Sachbuch, ist das nun vorliegende "Einstein" ein seitenstarker, veritabler Comic, der das Hin und Her in der Karriere des Neudenkers unter Berücksichtigung der historischen Geschehnisse ins Bild setzt, wobei sein kritikwürdiger Umgang mit seinen Frauen und Kindern ganz und gar nicht ausgespart wird. Während es der damalige Sach-Comic des Physikers Joseph Schwartz den leidlich mit dem Satz des Pythagoras, den Newtonschen Gesetzen und etwas Algebra vertrauten LeserInnen ermöglichte, verständig bis zur famosen Gleichung E = m · c² zu gelangen, so legen es die Autoren dieses neuen Buchs nicht darauf an, eine Art Physik-Lehrbuch vorzulegen. Immerhin behandeln sie auch die Ideen zur allgemeinen, während der Sach-Comic sich auf die spezielle Relativitätstheorie beschränkt. Ob nun Heisenbergs Unschärfe, Bohrs Atommodelle oder Schrödingers Katze, das Buch bietet genug Anreize, sich mit physikalischen Phänomenen näher zu beschäftigen. Das James-Webb-Weltraumteleskop zeigte kürzlich "stark gelinste Hintergrundgalaxien". Einstein wäre begeistert, welche Ergebnisse seine im Buch beschriebenen Ideen heute erbringen. (adi)

 

Jeremy Lambert/Ramon Bachs et al.: Buffy 7: Eine Welt ohne KrabbenJeremy Lambert/Mirka Andolfo et al.: Buffy 8: Ein Regenbogen auf ihrem Kopf Buffy (2020) 7: Eine Welt ohne Krabben (Jeremy Lambert/Ramon Bachs/Valentina Pinti et al., Panini 2022, 128 S., SC, farbig)
Buffy (2020) 8: Ein Regenbogen auf ihrem Kopf (Jeremy Lambert/Mirka Andolfo/Carmelo Zagaria et al., Panini 2022, 116 S., SC, farbig)
Die vier Vampirjägerinnen Buffy, Kendra, Faith und Morgan zusammen mit ihren Wächtern Rupert, Robin, Wesley und dessen Begleitgeist Ethan, dann noch der Fledermauskobold Grawilburrk, dazu Anya, Willow, Xander, Cordelia und andere, die Anzahl der an der 2020 gestarteten Buffy-Story und den neuen beiden Sammelbänden beteiligten Figuren wird immer länger (siehe auch "Buffy 6"). Das ist für die "Buffy"-KennerInnen natürlich kein Problem, sondern eher eine Bereicherung einer Welt, die sich jetzt auch noch in parallele Universen aufteilt. Parallelität heißt hier nicht, dass sie überall grundsätzlich gleichen Abstand voneinander haben, aber dass sie sich jedenfalls nicht gegenseitig so durchdringen, dass eine Welt von einer anderen Kenntnis nehmen kann. Doch die Fähigkeiten von Willow oder Anya schaffen Durchgänge zwischen den Welten, die zum einen die Möglichkeit eröffnen, dass Hindurchgehende auf ihr paralleles Selbst treffen, und zum anderen, dass man Lurkern zum Opfer fällt, monströsen Skelettwesen, die einem die Erinnerung wegfressen, oder dass man in einer Welt der Vergangenheit landet, in der Xander noch brav und ohne Augenklappe zur Scooby-Gang gehört und in der es tatsächlich Krabben gibt. (adi)


 
Matt Fraction/Elsa Charretier: November 1 November 1: Die Frau auf dem Dach (Matt Fraction/Elsa Charretier/Matt Hollingsworth, Schreiber & Leser 2022, 152 S., HC, farbig)
Für 500 Dollar pro Tag macht sie es: Dee lässt sich recht schnell überreden, einen seltsamen Auftrag vom mysteriösen Mister Mann anzunehmen. Dazu hat sie täglich ein Rätsel aus der Morgenzeitung zu lösen und mit Hilfe einer Annonce von Mister Mann in derselben Zeitung einen Schlüsselcode zu bestimmen. Dann steigt sie aufs Dach zur Funkstation neben dem Taubenschlag und sendet den Code aus. Für Dee wird das viele Geld zur Belastung. Aber Mister Mann droht ihr mit dem "Ende der verfluchten Welt", wenn sie mit ihrem Job aufhört. – In der Polizeiwache nimmt die völlig überarbeitete Polizistin Kay Kowalski den Anruf einer Frau entgegen, die eine Pistole in einer Pfütze gefunden hat. Sie schickt eine Streife hin. – Jetzt wird es spannend: Emma-Rose, die Frau, die die Pistole fand, landet von Polizisten gefesselt in einer Art Lagerhaus, wo sich bereits Dee befindet, ebenfalls gefesselt. – Es lässt sich nach und nach erahnen, dass hier einige Polizisten tief in kriminelle Machenschaften verwickelt sind. Die Erzählung besticht dadurch, dass sich die Zusammenhänge nicht plump und simpel erschließen lassen, sondern vom Lesenden Beobachtungs- und Kombinationsbereitschaft fordern. Die weiteren und abschließenden Teile dieses Krimis haben die Autoren bereits geschrieben und gezeichnet, so dass man bis zur Auflösung des Falls nur noch etwas abwarten muss. (adi)

 
Mariko Tamaki/Amancay Nahuelpan: Crush & Lobo Crush & Lobo (Mariko Tamaki/Amancay Nahuelpan, Panini 2022, 212 S., SC, farbig)
Crush ist außerirdisch ungewöhnlich. Ihr Vater Lobo fräggte in den 1990er Jahren durch einige Dutzend Dino-Hefte. Er war der Letzte der Czarnianer (weil er alle anderen Czarnianer killte). Aber er bekam eine Tochter, Crush, ebenso bleich und krass wie er. Lobo sitzt derzeit im intergalaktischen Knast. Lobos Gefängnistherapierobot Z1-A stuft es als "förderlich für [den] Heilungsprozess" ein, wenn Crush ihren Vater besuchen käme. Also "leiht" sie sich ein Raumschiff und fliegt los. Ein rachsüchtiger Kaffeeologe, der sie aufhalten will, wird ohne Rücksicht auf Verluste weggesprengt. Danach geht es für sie als Anhalterin im Müllschiff weiter. Schnell merkt Crush nach ihrer Ankunft, dass sie ihren Vater besser nicht hätte besuchen sollen. – Der witzige Comicband lebt davon, dass sich mit außerordentlichen Kräften ausgestattete Czarnianer so egoistisch verhalten, dass man an der sozialen Unkorrektheit seinen Spaß hat. Die eigene Tochter so richtig in die Pfanne zu hauen, das ist Lobo, völlig frei von Schuldgefühlen. Crush muss sich nun statt seiner von Therapie- und Bewachungsrobotern gängeln lassen. Besonders an diesem Comic ist auch, dass die Autorin Mariko Tamaki ("Ein Sommer am See") die Hauptfigur Crush als Erzählerin einsetzt, die sich im Text immer wieder direkt an den Lesenden wendet. Sympathischer als ihr Vater wirkt und ist sie damit allemal. (adi)

 
Tim Seeley/Baldemar Rivas: Robins: Alle zusammen! Robins: Alle zusammen! (Tim Seeley/Baldemar Rivas, Panini 2022, 148 S., SC, farbig)
Wie die "Fünf Freunde" von Enid Blyton bestehen die fünf Robins gemeinsam Abenteuer, wobei es nicht unbedingt immer freundschaftlich zugeht, Red Hood schickt Red Robin bei Bedarf hart auf die Bretter, aber man hält in diesem Sammelband fest zusammen, um eine gemeinsame Bedrohung aus dem Weg zu schaffen. Der Wunsch, einmal alle Robins in einer Geschichte und Heftserie zusammenzubringen, stammt von den LeserInnen. Der Verlag ließ dazu in einer Leserwunschaktion verschiedene Vorschläge in einem "Round Robin" genannten Verfahren gegeneinander antreten, kann man googeln, hat nichts mit den Robins zu tun, die als Batmans Gehilfen auftreten. Mit dem ersten Robin, Dick Grayson ("Nightwing"), begann , dann übernahm Jason Todd ("Red Hood") diese Rolle, gefolgt von Tim Drake ("Red Robin"). Für kurze Zeit war danach Stephanie Brown ("Spoiler") eine Robin, bestand aber ihre Prüfung nicht, so dass Damian Wayne, Batmans Sohn, den Posten des Robin für sich in Anspruch nahm. Das also sind die fünf Robins. Aber eine Robin-Kandidatin hatte keiner mehr auf dem Zettel: Anita Jean aka Jenny Wren! Sie wurde von Batman entsetzt abgelehnt, was das letzte Kapitel dieses Buches erklärt. Wie alle anderen Robins ihre Prüfungen ablegten, das wird zusammenfassend im zweiten Kapitel gezeigt. Die Trugbilder und Spielsituationen, denen die Helden ausgesetzt werden, verwirren nicht nur, sie machen auch überdeutlich, dass man seine sensiblen Computerdaten vor Hackern schützen muss. Auch du, Batman! (adi)

 

Stephanie Williams/Vita Ayala/Alitha Martinez et al.: Wonder Woman - Nubia und die AmazonenStephanie Williams/Vita Ayala/Becky Cloonan et al.: Wonder Woman - Kampf der Amazonen Wonder Woman - Nubia und die Amazonen (Stephanie Williams/Vita Ayala/Alitha Martinez et al., Panini 2022, 132 S., SC, farbig)
Wonder Woman - Kampf der Amazonen (Stephanie Williams/Vita Ayala/Becky Cloonan et al., Panini 2022, 244 S., SC, farbig)
Themyscira, die versteckte Insel der Amazonen, lässt sich über deren Botschaft im Bostoner Hafen erreichen. Oder frau entsteigt auf Themyscira als wiedergeborene Amazone dem Brunnen der Seelen, in dem die Seelen gewaltsam zu Tode gekommener Frauen ruhen. So paradiesisch die Amazoneninsel auch erscheinen mag, sie grenzt jedoch, nur getrennt durch das Tor des Untergangs, an das Höllenstraflager Tartaros, also den Teil des Hades, in dem monströse Kreaturen einsitzen. Die Amazonen haben die wichtige Aufgabe, dieses Höllentor zu bewachen, wozu immer die fähigste von ihnen als "Heldin" eingesetzt wird. – Nubia, Hauptfigur dieser wie gewohnt mit Motiven aus der griechischen Mythologie versehenen Erzählung, kam durch den Brunnen der Seelen nach Themyscira. Sie bewährte sich lange Zeit als Heldin des Tores. Nach einer Mutprobe übernahm sie von der damaligen Königin Hippolyta deren Amt. Nubias Amtsführung ist nicht unumstritten, da Medusa, die Gorgone mit dem versteinernden Blick, nach Themyscira eindringen konnte. Wie Nubia mit dem Stab des Verstehens dieses Problem löst, erzählt der erste Band der insgesamt über dreihundert Seiten langen Geschichte. Der zweite Band "Kampf der Amazonen" setzt mit den Forderungen zweier anderer Amazonenstämme fort, denen aus Bana-Mighdall unter Königin Faruka und den südamerikanischen Esquecida mit Yara Flor ("Wonder Girl"), an den Wettkämpfen für die Heldin des Tors teilnehmen zu dürfen. Sie trauen den Amazonen von Themyscira nicht mehr zu, das Tor sicher zu bewachen. Dann geschieht ein Mord. Prinzessin Diana ("Wonder Woman") will nun ihr Lasso der Wahrheit einsetzen. Dagegen regt sich Widerstand. Die Bewachung des Tors hat Vorrang. – Dieser Comic, in dem (natürlich) ausschließlich Frauen vorkommen (bis auf einen einsamen Widerständler), bildet ein Gegenstück zu den Comics, in denen die kämpfenden Helden zumeist männlich und die Frauen nur "eye candy" sind (wie in Erlangen 2022 beklagt). An der üblichen Zutat, sich mit heroischem Mut, Kampf und Wunderwaffen im Finale gegen den Feind durchzusetzen, fehlt es auch in diesem Amazonencomic selbstverständlich nicht. Immerhin mustergültig, dass, trotz aller vorhergehenden Streitereien untereinander, letzten Endes gemeinsam entschlossen gegen die Bedrohung vorgegangen wird, um dadurch am Tor des Untergangs zu siegen ("Bei Hekates Feuer, das war Magie"). Ein solches Handeln wünschte man sich auch beim Klima- und Artenschutz. (adi)


 
René Goscinny/Albert Uderzo: Asterix Max! 3 Asterix Max! 3 (René Goscinny/Albert Uderzo et al., Ehapa 2023, 192 S., SC, farbig)
Mit mindestens zwei Sahnestücken für Goscinny/Uderzo-Fans wartet dieser preiswerte Sammelband auf: Luc Junior (22 Seiten) und Benjamin und Benjamine (51 Seiten) werden jeweils mit einem vollständigen Abenteuer nachgedruckt. In "Luc Junior bei den Marsmenschen" karikiert Uderzo seinen Freund Goscinny als Marsbewohner mit Schmetterlingsnetz. Dieser Spaß stammt von 1956/57, ist also nur wenige Jahre jünger als "Asterix". In der gleichen Zeit (1958/59) erschien auch "Benjamin und Benjamine bei den Cowboys" in einer französischen Jugendzeitschrift, die laut Wikipedia bis 1958 sogar Benjamin hieß und dann in Top Réalités Jeunesse umgetauft wurde. Die Reise, die Benjamin und Benjamine mit ihrem dusseligen Leibwächter durch die USA unternehmen, um ihre ungewöhnliche Belohnung in Besitz zu nehmen, erinnert daran, dass Goscinnys die USA durch seine Aufenthalte dort in den 1940/50ern gut kannte (und wo er Jijé, Morris und Franquin kennenlernte). Mit "Idefix und die Unbeugsamen" von 2022 steuern Olivier Serrano und David Etien zum Band einen Beitrag deutlich jüngeren Datums bei, in dem wir erfahren, wie Artus' Schwert in den Stein gelangt ist. Das ist dann allerdings doch nicht Excalibur, sondern das bedeutsame Schwert des Camulogenos. (adi)

 

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Comics im Jahr 2023

(o) comicforscher.de, Hildesheim 2023